Wie bekannt ist der Dollar

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Turon

Wie bekannt ist der Dollar

Beitrag von Turon »

Nehmt uns doch bitte unser Geld ab!

Nach der Jahrhundert-Rezession und der Abschaffung des eigenen Geldes erschüttert eine dramatische Flüchtlingswelle das südamerikanische Ecuador

Von Peter Korneffel


Seit dem
10. September ist
der Dollar das
alleinige
Zahlungsmittel
Es stinkt nach totem Fisch, herbem Schweiß und stechendem Urin. Die 190 Passagiere im Bauch des ecuadorianischen Fischkutters Elizabeth I., ein Boot von gerade einmal 20 Meter Länge, scharen sich um die einzige Latrine auf dieser Odyssee in das gelobte Land. In den frühen Morgenstunden des 19. Juni ließen sich die 44 Frauen und 146 Männer in der Nähe des nordecuadorianischen Fischerdorfs Galera mit Kanus zu dem auf See wartenden Kutter bringen. Verzweifelte Menschen aus allen Landesteilen auf der erbitterten Suche nach einem würdigen Leben. Sie wollten die Elizabeth in Guatemala verlassen und dann auf dem Landweg weiter in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Auf die Nordamerikaner trafen sie hingegen früher, als sie es sich erträumt hatten: vier Tage auf dem Pazifik und bereits 380 Seemeilen von der Küste Ecuadors entfernt, wurden sie vermutlich von den Infrarotsensoren der "Lockheed P-3 Orion" aufgespürt, einem Aufklärungsflugzeug der US Air Force. Den Sensoren erschien es wohl zu warm im Bauch des Fischkutters. Wenig später ließ das Kriegsschiff "USS Halyburton" den Menschenschmuggel auffliegen und geleitete die verängstigten Auswanderer zurück in den ecuadorianischen Hafen von Esmeraldas. Die Halyburton habe diese Menschen, die keine Dokumente bei sich führten, während einer "routinemäßigen Antidrogenpatrouille in internationalen Gewässern" aufgelesen, so die offizielle Verlautbarung der US-Botschaft in Quito. Letztendlich sei es ein "humanitärer Akt" gewesen, der "möglicherweise 200 Menschenleben gerettet hat".

Seit Anfang dieses Jahres verlassen monatlich etwa 20000 Ecuadorianer dauerhaft ihr Land, und das sind nur die von den Behörden registrierten Auswanderer. Ihre Ziele sind vor allem Spanien und die USA, aber auch Italien und Deutschland. Der Zusammenbruch von Wirtschaft und Finanzsystem im vergangenen Jahr zeigt nun fatale Folgen für die drastisch verarmende große Mehrheit der 12,5 Millionen Einwohner der Andenrepublik. Ihre Sparguthaben gingen unter den erlassenen Sperrklauseln und dem Währungseinbruch weitgehend zugrunde. Ihre Reallöhne sanken unter das Niveau aus Diktaturzeiten der 70er Jahre - eine "Afrikanisierung", wie ein Arbeitervertreter es beschreibt. Das Sozialsystem Ecuadors erweist sich de facto in allen Bereichen als desolat. Rentner und Krüppel betteln schon lange auf den Grünstreifen der Hauptstadt. Verletzte und Schwangere bringen steriles Gerät selbst mit in die öden Klinikräume der staatlichen Gesundheitsfürsorge. Armut ist nie schön.

Nun kommt es den Menschen in Ecuador vor wie eine bittere Offenbarung, wie der Ausverkauf der letzten Bastion von nationaler Ehre, wenn der Staatspräsident Jamil Mahuad am 9. Januar 2000 per Dekret beschließt, dass die ecuadorianische Währung, der Sucre, abgeschafft wird. Zwar wurde Mahuad zwölf Tage nach jener überraschenden Fernsehansprache von wütenden Indianern und Militärs als "Verräter" aus dem Amt geputscht, doch der neu eingesetzte Staatspräsident Gustavo Noboa ändert nichts an dieser Politik der währungspolitischen Selbstaufgabe. "Nehmt uns unser Geld weg! Währungshüter dieser Erde, helft uns, es abzuschaffen, denn wir können damit nicht umgehen", so die mehrheitliche Message aus Nationalkongress und Präsidentenpalast in Quito.

Nach anfänglicher Skepsis der US Notenbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist es seit dem 1. April amtlich: Ecuador wird "dollarisiert". Als fünftes unabhängiges Land der Welt führt es den US-Dollar als Landeswährung ein. Vorausgegangen waren - die USA ausgenommen - Panama im Jahr 1904 sowie die Marschall-Inseln, Mikronesien und Palau 1944.

Das neue Geld aus "Gringolandia", ist bei der Mehrheit der Bevölkerung unbeliebt, und es verwirrt. Ob "one dime" oder andere "legal tender" der "treasurer" aus Washington D.C. - die meisten Ecuadorianer können die Noten und Münzen schlicht nicht lesen, geschweige die verschiedenen Emissions-Serien echter Greenbacks von den Fälschungen aus Kolumbien unterscheiden. Wer sind diese Herren Lincoln, Hamilton und Jackson auf den Banknoten - letzte Hoffnung: "In God we trust"?

Dieser Kulturschock ist nicht zu unterschätzen: Die Englischkenntnisse im Land sind derart schlecht, dass selbst Grenzbehörden und Polizeibeamte etwa deutsche Touristen auf fantastische Weisen registrieren, weil sie "nationality" nicht lesen können. Touristen heißen dann schon mal "Helmut Stadt Bochum", "Monika Deutsch" oder auch "Keine Blau" wie es einem Österreicher neulich passierte. Wie sollen dann erst die quechua-indianischen Hochlandbauern und die informellen Händler in den Städten mit den englischsprachigen Noten umgehen!?

Die haarsträubenden Umrechnungsformeln, daß etwa der "Quarter" zu 25-US Cent genau 6250 Sucres entspricht oder die 15 Dollar für die Tankfüllung auch mit 375.000 Sucres beglichen werden können, sind nur ein bald vorübergehendes Phänomen.

Der Dollar ist auch als finanzpolitisches Instrument umstritten. Der bekannte ecuadorianische Ökonom Alberto Acosta etwa geißelt die "Dollarisierung-Falle", als das "Schlusskapitel der neoliberalen Anpassung" und zudem als "verfassungswidrig und antidemokratisch". "Die Eliten des Landes fordern den Dollar", so Acosta, "um ihre gescheiterte Wirtschaftspolitik, an der sie allein sich bisher reich gestoßen haben, nun im neuen Gewand weiterzuführen". Der in Deutschland studierte Europakenner Acosta sieht noch einen Grund für die Abschaffung des ecuadorianischen Geldes: "Wenn auch aus der Not geboren und ohne Volksabstimmungen wie in der EU beschlossen, so ist die Währungsunion mit Ecuador heute auch ein Feldversuch der USA. Sie ist ein strategisches Versuchsprojekt in Richtung Wirtschaftsunion Amerika. Die Dollarisierung Ecuadors ist eine von Washingtons Antworten auf den Euro".

Ob die Andenrepublik mit dem Dollar nun in die Falle läuft oder nicht: Die Jahrhundert-Rezession hat Millionen von Ecuadorianern in Existenznot gebracht. Die Auswanderungsstellen Ecuadors und die US Coast Guard verbuchen jetzt deren Auswirkungen. Dabei ist der Exodus kein neues Phänomen - Ecuador ist ein Auswanderungsland, seitdem die Behörden in Reisepässe stempeln: Schon heute lebt jeder fünfte Ecuadorianer im Ausland. New York City ist mit geschätzten 600.000 die nach Einwohnern drittgrößte Stadt "Ecuadors". Im Süden des Berglandes, dem "Austro", gibt es schon lange Zeit Dörfer ohne Männer - verlassene Frauen beten und hoffen dort auf die Geld bringende Nachricht von ihren Männern und Söhnen per Western Union. In der Tat, so eine Schätzung der Zentralbank, war die Heimschickung von Auslandseinkünften im vergangenen Jahr mit über einer Mrd. Dollar der zweitgrößte Devisenbringer Ecuadors nach dem Erdölexport und noch vor den Bananen. Neuerdings emigrieren nun die Frauen - zurück bleiben die Greise und ein paar Kinder.

Transporte wie der auf der Elizabeth I. gehen nicht immer so glimpflich aus. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 38 Flüchtlingstote aus dem Austro registriert. Viele starben so elendig wie Manuel Sotomayor und Ricardo Uguña vor der kroatischen Küste am Ende einer 21-tägigen Fahrt im Bauch eines Kühlschiffes. Bei permanenten 12 Grad Celsius habe es zu essen nur die gekühlten Bananen und den eigenen Urin zu trinken gegeben, so ein Überlebender. Andere verdursteten in der Wüste Mexikos, auf dem Weg zum Zaun der USA. Die in Ecuador "Coyoteros" genannten Menschenschlepper geben den Auswanderern keine Landungsgarantie am Ende ihrer teuer bezahlten Seereise.

Die Nationaldirektion für Auswanderung registriert seit dem Dollarisierungsbeschluss vom Jahresbeginn eine Verdoppelung der legalen Emigration. Monatlich erreichen mittlerweile 15 000 Spanien, so schätzt das "Zivilkomitee der in Spanien wohnhaften Ecuadorianer" (CCERE). Wer keinen Flug mehr in die spanische Hauptstadt ergattert, fliegt über Paris oder Amsterdam. Die engagierte Caritas in der grenznahen Diözese Barcelona ist dann häufig ihre erste Anlaufstelle.

Die vermeintliche Eintrittskarte in die Europäische Union, in deren Süden man glücklicherweise Spanisch spricht, ist "la bolsa", jene von gewieften Reiseagenturen, Menschenschleppern, Anwälten, Notaren und Grundstückspfändern für gutes Geld sorgfältig und ganz legal gepackte "Tasche", um in der Alten Welt zu landen.

Diese "Tasche" enthält einen Wegweiser zur Reisepaßausstellung, das Flugticket nach Europa, 2000 Dollar in bar, die den Grenzbeamten der EU die Urlaubskasse glaubhaft machen, sowie ferner eine Beratung für die zu erwartenden Befragungen im "Urlaubsland" und einen Hotel-Coupon für Madrid oder Paris.

"Die Ankunft von Ecuadorianern versetzt die Europäer bereits in höchste Alarmbereitschaft", gesteht der Mitarbeiter eines der knapp 800 Reisebüros in Ecuador. Für viele Agenturen ist es ein Bombengeschäft. Etliche unseriöse Schlepper hingegen verkaufen die Tasche gegen einen Kredit, den sie sich mit einer hypothekfreien Immobilie absichern lassen. Die Zinsen liegen meist bei 10 bis 12 Prozent pro Monat. Das geliehene Bargeld wird üblicherweise mit 10 Prozent für die nur dreitägige Aushändigung verzinst, denn spätestens dann schaltet sich der "Reiseleiter" der Agentur im spanischen Hotelzimmer ein und nimmt die Barschaft wieder mit. Andere Gewinner sind die internationalen Fluglinien, die auf den lange im voraus ausgebuchten und zum Bersten gefüllten Flügen nach Europa längst vergessene goldene Zeiten im Ecuadorgeschäft erleben.

Auch die ohnehin kleine Mittelklasse ist getroffen: eine leitende Professorin an der renommierten Katholischen Universität von Quito verdient seit 1998 monatlich unverändert 6 Millionen Sucres. Bei ihrer Einstellung waren das für ecuadorianische Verhältnisse umgerechnet stattliche 1200 Dollar, seit einem halben Jahr ist ihr Salär nur noch ein Fünftel von dem Wert. Die Dozentin ist bereits auf Arbeitsuche; weltweit.

Wen wundert es da, dass Ecuador seit Monaten unter den zehn größten Bewerbernationen für die deutsche Green Card liegt?! Hunderte von Anträgen aus Ecuador liegen in Berlin bereits vor. Sollte das ärmste Land Südamerikas überhaupt so viele Informationstechnologen haben, so wird Ecuador vom rasenden Zug ins Informationszeitalter hiermit wohl weitgehend abgehängt, zumal nicht nur Deutschland Programmierer sucht.

Die Auswanderungswelle wird getragen von den Experten im Land, den Hochschulabsolventen, den besten Handwerkern, den schönsten Frauen und Männern. Und wenn auch einfache Leute weggehen, wenn Kindermädchen nach Madrid gehen oder Hausangestellte in Bad Godesberg landen: immer wieder sind es die kreativen und mutigen Köpfe der Gesellschaft, die flexiblen Menschen mit Risikobereitschaft. Im neudeutschen IT-Jargon ließe sich staunen, welch ein "Humankapital" hier gen Europa fließt! Ecuador versteppt derweil. Wie sich das soeben in Kraft getretene strengere Einwanderungsgesetz Spaniens auf die Flüchtlingsströme auswirken wird,
bleibt abzuwarten.

Nach der am 13. September anstehenden endgültigen Ächtung ihrer 116-jährigen Währung Sucre ist vielen nichts mehr heilig im Land. Der berühmte Marschall Antonio José de Sucre hatte die spanischen Truppen an jenem 24. Mai 1822 in der entscheidenden Schlacht am Vulkan Pichincha in die Flucht geschlagen - die Geburtsstunde der Nation. Mit kaum einer anderen historischen Persönlichkeit ist - war? - der Stolz der Ecuadorianer derart verbunden wie mit Marschall Sucre.

Nun ist der Sucre geschlagen und es kommt der Dollar und mit ihm - welch unheimliche Parabel der Geschichte - ziehen jetzt nordamerikanische Truppen ins Land! Wie bitte? Noch einmal für langsame Geldwechsler: In der tiefsten Rezession und wenige Wochen bevor Jamil Mahuad das Land an den Dollar kettete, wurde es unter Ausschluß der Öffentlichkeit besiegelt: die Regierungen von Quito und Washington unterzeichneten ein binationales Militärabkommen, das den US-Streitkräften die Einrichtung modernster Basen für Marine und Luftwaffe in der ecuadorianischen Küstenstadt Manta zusichert. Ziel der Militäreinrichtungen ist offiziell die Bekämpfung des kolumbianischen Drogenanbaus und seiner Mafia. Luft- und Seeüberwachung vom ecuadorianischen Territorium aus sollen die Bodenkämpfe und Pestizideinsätze im nördlichen Nachbarland unterstützen. Das sind die offiziellen und soweit auch plausiblen Verlautbarungen zum "Plan Colombia".

US-Marinepatrouillen vor Ecuadors Küsten, angebliche Pflanzenvernichtungstests der USA auf ecuadorianischem Gebiet - so berichtete die spanische Ausgabe des Miami Herald am 17. Juli - und die Strafimmunität hunderter nordamerikanischer Soldaten vor dem ecuadorianischen Gesetz haben einen heftigen Streit im Land ausgelöst, in wie weit Ecuador tatsächlich noch ein souveräner Staat ist. Wurde ein finanziell sich offenbarendes Ecuador von den USA benutzt und in einen regional ausgeweiteten kolumbianischen Bürgerkrieg hineingezogen? Welchen Preis haben die Regierungen Mahuad und Noboa für den Dollar tatsächlich gezahlt?

Die Tageszeitung "Hoy" analysiert: "...die Militärbasis von Manta war kein einfacher Akt diplomatischer Zusammenarbeit ... die Genehmigung der Militärbasis war Teil dieser Suche nach einer nordamerikanischen Gönnerschaft für eine Einigung mit dem IWF und internationalen
Geldgebern".

Der nun begonnene Drogenkrieg hat bereits die ersten 20000 kolumbianischen Flüchtlinge in den Norden Ecuadors getrieben. Weitere 30000 erwarten die Behörden allein in der Regenwaldprovinz Sucumbíos schon binnen der nächsten Wochen. Wer steht für das mit dem Plan Kolumbien heraufziehende Flüchtlingsdrama in Ecuador gerade?

Die IWF hat Ecuadors Erfüllung der wirtschaftspolitischen Hausaufgaben jüngst gelobt. Die Regierung in Quito kann ihre erdrückenden Schulden von 13,4 Mrd. Dollar nun dank neuer Kredite in Teilen umstrukturieren. Doch ist das tatsächlich eine gute Nachricht?
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