Interview mit Vize der deutschen Bundesbank Hr. STark

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Psycho Tr@der

Interview mit Vize der deutschen Bundesbank Hr. STark

Beitrag von Psycho Tr@der »

Stark: Wegen Wachstumsschwäche keine Hektik in die Märkte bringen

Bundesbank-Vize sieht Risiko eines sich selbst verstärkenden Abwärtstrends - Aber auch "gute Chance" für baldige Wende - Warnung vor überstürzten Reaktionen

Der Vize-Präsident der Deutschen Bundesbank, Jürgen Stark, hält den Tempoverlust beim Wachstum der Weltwirtschaft für nicht dramatisch. Es bestünden gute Chancen für eine Wende im Verlauf dieses Jahres, sagte der 52-jährige Bundesbanker in einem Interview mit der Börsen-Zeitung, in dem er auch auf die bevorstehende Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank einging. Wichtig sei es, Hektik, Panik und überstürzte politische Reaktionen zu vermeiden. Stark ist bei der Bundesbank unter anderem für den Bereich Internationale Beziehungen verantwortlich.


Ende September vergangenen Jahres während der Tagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Prag schien die Weltkonjunktur noch in Ordnung und in recht guter Fahrt zu sein. Jetzt, sechs Monate später, hat sich das Konjunkturbild stark eingetrübt. Wie schätzen Sie Lage und Perspektiven ein? Werden die Risiken in der Weltwirtschaft das beherrschende Thema auf der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank Ende des Monats in Washington sein?

Wir haben aufgrund der Entwicklung in den letzten sechs Monaten im IWF unsere Annahmen für das weltweite Wachstum deutlich heruntersetzen müssen. Zahlen für die neuen Wachstumsprognosen nenne ich nicht, da diese auch noch nicht endgültig feststehen. Das liegt nicht zuletzt an der großen Unsicherheit über die weitere Entwicklung in den USA. Unsicher ist vor allem, wie und auch wann der negative Einkommenseffekt im Verbraucherverhalten spürbar wird, der sich aus den deutlichen Kursverlusten an den Börsen ergeben hat. Die zweite Frage ist, wann werden die amerikanischen Unternehmen einschließlich der Finanzinstitute ihre Abschreibungen vornehmen müssen, was Marktreaktionen hervorrufen kann? Außerdem werden die Unternehmen in den USA wahrscheinlich erst zur Jahresmitte die von ihnen angekündigten Entlassungen vollziehen. Dies bedeutet: Erst in den nächsten zwei bis drei Monaten wird sich herausstellen, wie stark von der Dauer und der Tiefe her die Verlangsamung der US-Konjunktur sein wird. Die Diskussion über die weltwirtschaftliche Entwicklung wird die Frühjahrstagung in Washington ganz bestimmt dominieren.


Zweifeln sie denn daran, dass die US-Wirtschaft schon in der zweiten Jahreshälfte wieder in Schwung kommt?

Ich bin etwas vorsichtig im Hinblick auf Prognosen, nach denen sich das Wachstum in den USA in der zweiten Jahreshälfe wieder kräftig beschleunigt. Die entscheidende Frage ist, ob der im Zeichen der New Economy in den vergangenen Jahren erzielte Produktivitätszuwachs über den Konjunkturzyklus hinaus trägt. Dies muss sich erst noch zeigen.

Wie beurteilen Sie die Aussichten für 2002?

Wir haben in diesem Jahr eine deutliche Verlangsamung des Wachstums der Weltwirtschaft, und zwar über alle Regionen hinweg, vielleicht mit den Ausnahmen Chinas und Russlands. Das ist nichts Dramatisches, aber die Frage ist, wie lange diese Abschwächung anhält und wann wieder an den früheren Wachstumspfad angeknüpft wird. Wendepunkte sind bekanntlich sehr schwer vorhersagbar. Aber die Chancen stehen gut, dass später in diesem Jahr die Weltwirtschaft wieder mehr Fahrt gewinnt und dass im Jahr 2002, ausgehend von den USA, wieder eine höhere Wachstumsrate erzielt werden kann.

Haben sich die Risiken für die Weltwirtschaft durch den Abschwung in den USA, die dämpfenden Effekte auf die Schwellenländer und durch die anhaltende Krise in Japan nicht enorm erhöht?

Viele Länder in Südostasien und Südamerika sind bei ihren Exporten mit Quoten von bis zu 40 % stark vom US-Markt abhängig und erleiden Wachstumseinbußen. Und die Perspektiven für Japan sind alles andere als optimistisch - in konjunktureller Hinsicht und auch in Bezug auf die finanzielle Lage im Finanzsektor. Die Risiken für die Weltwirtschaft sehe ich aber insbesondere darin, dass es über die Verflechtung der Finanzmärkte zu einem sich selbst verstärkenden Abwärtstrend kommen könnte. Hierauf müssen alle achten und dafür die Verantwortung tragen. Es ist viel Psychologie dabei. Im vergangenen Jahr ist es in den USA als wünschenswert erachtet worden, zu einem niedrigeren Wachstumspfad zurückzukehren. Das geschieht im Moment, aber jetzt befürchtet man einen stärkeren Wachstumseinbruch. Man sollte jetzt in dieser Situation, in der sich die Weltwirtschaft befindet, nicht zusätzliche Hektik oder gar Panik in die Märkte bringen oder überstürzt politisch reagieren. Man muss vielmehr kühlen Kopf bewahren und vertrauensbildende Signale in die Öffentlichkeit geben.

Inwieweit wird Europa von dem US-Abschwung angesteckt?

Europa wird nicht verschont bleiben. Das Wachstum bei uns könnte höher sein, wenn in den letzten Jahren die Strukturreformen energischer vorangetrieben worden wären. Aber wir haben, was die internen und externen Gleichgewichte angeht, zurzeit keine großen Probleme. Es wurden Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung erzielt, und das Defizit in der Leistungsbilanz liegt bei nur 1 % des BIP.

Besteht somit für Europa kein geld- oder wirtschaftspolitischer Handlungszwang?

Wir sollten uns wegen der derzeitigen Probleme in Europa nicht dazu verleiten lassen und schon gar nicht dazu drängen lassen, das Risiko einzugehen, jetzt mit einer laxen Politik Probleme der Gegenwart mit noch größeren Problemen in der Zukunft lösen zu wollen. Wir laufen sonst Gefahr, größere Ungleichgewichte zu produzieren, sei es im Bereich der Haushalte oder der Leistungsbilanz.

Was können oder sollten denn die Staaten im Allgemeinen wirtschaftspolitisch tun, um der globalen Abschwächung entgegenzuwirken?

Wenn im Euroraum jeder seine Hausaufgaben machen würde nach den Vorgaben des Maastricht-Vertrags und den ergänzenden Verpflichtungen - dann benötigten wir keine lange Diskussion über wirtschaftspolitische Koordinierung. Das gilt letztlich auch global. Wenn jeder seine Rolle erfüllt und es nicht zu einer Verwischung der Verantwortlichkeiten kommt, dann ist eine wichtige Grundlage geschaffen, um die Entwicklung einigermaßen zu kontrollieren.
Ich halte das, was in den USA getan oder angekündigt wurde, nämlich Zinssenkungen in Kombination mit Steuersenkungen, für adäquat. Auch das, was in Europa getan wurde, nämlich die Steuern zu verringern, ist meiner Auffassung nach angemessen. Die Steuersenkungen sind nun nicht mehr - wie noch im vergangenen Jahr befürchtet - unbedingt prozyklisch. Das gilt nicht für alle Euro-Staaten, aber sicherlich für Deutschland. Ich sehe also insoweit den Handlungsspielraum für ausgereizt. In Deutschland ist die Steuerreform in Kraft gesetzt und die Rentenreform in Arbeit. Das alles sind Maßnahmen, die zeigen, dass Reformfähigkeit vorhanden ist. In anderen Ländern des Euroraums gibt es ähnliche Entwicklungen.
Feinsteuerungsmaßnahmen sind ungeeignet, denn sie wirken erst mit erheblicher Verzögerung. Wir sollten vermeiden, Konjunkturprogramme wie in den 70er Jahren aufzulegen, die in der Regel erst dann Wirkung zeigten, wenn die Konjunktur sich bereits wieder belebt hatte. Das beste Rezept bleibt, dass jeder sein eigenes Haus in Ordnung bringt.

Sollte die Europäische Zentralbank (EZB), wenn sie denn geldpolitischen Spielraum hat, nicht die Zinszügel lockern, um ein Zeichen gegen die Konjunkturabschwächung zu setzen?Wird es darüber nicht Diskussionen auf der Tagung in Washington geben?

Unabhängig davon, was geldpolitisch in Europa zwischen heute und Ende April passiert oder nicht passiert, darüber wird in jedem Fall diskutiert werden. Aber ich möchte an einen Grundsatz erinnern, ohne auf die nächste oder übernächste Sitzung des EZB-Rats Bezug nehmen zu wollen: Die EZB verfolgt ein festes Preisstabilitätsziel und hat im Gegensatz zu wichtigen Zentralbanken in der Welt eine klare Strategie. Deshalb ist von der Zielsetzung, der Strategie und der Kommunikation her vorhersehbar und nachvollziehbar, was die EZB tun wird oder auch nicht. Zumindest gibt sie eine gewisse Orientierung für ihr künftiges Handeln.
In den Medien wird der EZB vorgeworfen sie sei mittlerweile die einzige Zentralbank in der Welt, die noch nicht ihre Zinsen gesenkt habe. Dabei werden allerdings zwei Fragen gar nicht berücksichtigt: Erstens, wie ist das derzeitige Zinsniveau im Euroraum im Vergleich zu dem in anderen Währungsräumen und zweitens, was ist das jeweils angemessene Zinsniveau? Man kann aufgrund der unterschiedlichen Situationen im Euroraum, in den USA und in Japan nicht die gleiche geldpolitische Strategie und den gleichen zinspolitischen Entscheidungsmechanismus in allen drei Währungsräumen in Gang setzen. Es darf jetzt nicht alles über einen Kamm geschoren und vergessen werden, dass sich die Zinsen in Europa bereits auf einem relativ niedrigen Niveau befinden und das Zinsniveau der USA trotz der Konjunkturprobleme dort noch immer über dem Niveau des Eurogebiets liegt.

Der IWF diskutiert verstärkt seit dem Amtsantritt von Horst Köhler als Geschäftsführendem Direktor darüber, ob der Fonds nicht die Reformauflagen für die Gewährung von Finanzhilfen, die so genannte Konditonalität, vereinfachen sollte. Sind hier Fortschritte in Washington zu erwarten.?

Die Frage der Konditionalität ist ein wichtiger Punkt bei der Refokussierung des IWF auf seine Kernaufgaben und für die klare Trennung der Aufgaben von Fonds und Weltbank. Der IWF hat im vergangenen Jahrzehnt seine Kreditprogramme mit Konditionen überladen und darin insbesondere auch strukturpolitische Konditionen aufgenommen. Das Programm für Indonesien zum Beispiel umfasste detaillierte Konditionen, welche die gesamte Volkswirtschaft umfassten - bis hin zu Forderungen nach Produktionseinstellung für bestimmte Erzeugnisse. Das lag daran, dass der Fonds versuchte, seine Aufgaben auszuweiten und auch in der Strukturpolitik mitzumischen, die eigentlich Aufgabe der Weltbank ist. In der Folge kam es zu einer Verwischung der Grenzen zwischen den Aufgaben beider Institutionen.

Sollte die Konditionalität gelockert werden, damit die Krisenländer leichter den Einstieg in die notwendigen Reformen schaffen?

Die Linie sollte sein: Wenige Konditionen, weg von den Details, und die strukturpolitischen Aufgaben der Weltbank überlassen. Wir brauchen aber auch künftig eine starke Konditionalität, denn letztlich sollen die betroffenen Länder ja aus ihren schwierigen Situationen herausgeführt werden. Die Diskussion im IWF über die Reform der Konditionalität ist noch nicht abgeschlossen. Sie dürfte auf der Washingtoner Tagung fortgeführt werden.
Der IWF will und muss darauf achten, dass die von ihm geforderten Reformen von dem jeweiligen Land und dessen Parlament auch politisch mitgetragen werden. Dafür ist ein längerer Vorlauf und Abstimmungsprozess erforderlich. Aber das darf nicht dazu führen, dass das Land selbst alleine die Bedingungen diktiert, unter denen dann die IWF-Mittel bereit gestellt werden. Das Ergebnis darf keinesfalls sein, dass die Konditionalität aufgeweicht wird.

Sind überhaupt konkrete Fortschritte bei der Reform des Weltfinanzsystems, etwa bei der Einbindung des privaten Sektors in das Krisenmanagement, in Washington zu erwarten?

Auf dieser Frühjahrstagung sollte man die Erwartungen nicht zu hochschrauben. Die neue US-Administration dürfte sich noch nicht vollständig in alle Einzelheiten der Thematik eingearbeitet haben.

Das Gespräch führte Christian Burckhardt.
Quelle: Börsenzeitung
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