Neues von Jens Ehrhardt - Interview vom 31.12.2011
Die Gefahr besteht, dass in Europa alles auseinanderfällt.
Jens Ehrhardt über schlaflose Nächte, Schuldenberge in Euroland und Schmankerl in Asien
Börsen-Zeitung, 31.12.2011
Herr Dr. Ehrhardt, derzeit folgt eine Panik an den Finanzmärkten der nächsten. Macht die Arbeit als Vermögensverwalter überhaupt noch Spaß?
Im Moment ist es wirklich eine große Herausforderung. Manchmal schlafe ich schlecht und sehe jeden einzelnen Kunden vor mir, der mit seiner Vermögensentwicklung auch Einbußen hinnehmen muss. Aber in der aktuellen Marktlage sollte ein Investor auch mit Gewinneinbußen rechnen. Es ist nicht einfach, in der jetzigen Situation Ratschläge zu geben, und es macht sicherlich mehr Spaß, wenn man mit Rückenwind dem Kunden großartige Ergebnisse präsentieren kann. Doch gerade in schwierigen Situationen ist mehr denn je unser Rat gefragt. Das Interesse ist so groß wie selten, auch weil die Lage so schwierig und wechselhaft ist und die Transparenz so gering.
Inwieweit mussten Sie Ihren Investmentansatz den veränderten Gegebenheiten anpassen?
Unser Investmentansatz, die FMM-Methode, ist nach wie vor sehr sinnvoll. Die fundamentale Analyse - dafür steht das F - spielt eine sehr wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Rolle. Denn wenn man ein gutes Investment hat, dann kann man auch drauf sitzen bleiben und à la Kostolany zwischendurch Schlaftabletten nehmen. Man muss aber parallel auch versuchen, beim Investment das richtige Timing zu finden. Da spielt das monetäre Umfeld - hierfür steht das erste M - wiederum eine große Rolle. Niedrige Zinsen sind z.B. nach wie vor positiv für Aktien und höhere Zinsen negativ. Das sieht man an China, dort haben hohe Zinsen die Börse gedrückt. In Europa und Amerika kommt die Sache nicht so richtig in Schwung, weil die Zinsen ohnehin schon sehr niedrig sind, da ist der Einfluss nicht so groß.
Inzwischen sind es doch aber eher Marktstimmungen, Gefühle, die die Kurse nach oben oder unten reißen.
Das stimmt, daher steht das zweite M unseres Ansatzes für die Komponente Markttechnik. Dabei versuchen wir, die Spekulationsneigung und den Optimismus bzw. Pessimismus der Anleger im Auge zu behalten. Im Moment herrscht da eher Pessimismus vor. Die Markttechnik ist der beste Kurzfristindikator, während das Monetäre eher mittelfristig und das Fundamentale langfristig angelegt ist. Als Ergänzung der FMM-Methode ist nun hinzugekommen, dass wir uns verstärkt die Verschuldungssituation einzelner Länder anschauen.
Gerade die hohe Verschuldung einzelner Euro-Länder ist zuletzt auch am Markt in den Fokus gerückt. Wie steht es um die Eurozone?
Die Gefahr besteht, dass in Europa alles auseinanderfällt. Ich bin der Meinung, dass die EZB eingreifen muss und vollumfänglich Staatsanleihen aufkaufen sollte. Wenn sie dies nicht zum Teil schon gemacht hätte, dann stünden die Zinsen schon viel, viel höher. Wir haben derzeit ständig neue Krisenherde, da reicht ein halbherziges Eingreifen nicht mehr aus. Die Situation am Anleihemarkt wird sich mit der absehbaren Rezession in einigen Ländern ja eher noch verschlechtern. Die EZB müsste die klare Losung ausgeben: Wir stabilisieren die Zinsen auf dem heutigen Niveau. Ähnlich wie es die Schweizer mit ihrer Währung gemacht haben. Die mussten dann auch gar nicht mehr groß kaufen, weil die Märkte von der Kraft der Schweizer Notenbank überzeugt waren. Diese Kraft hätte natürlich auch die EZB. Aber in der jetzigen Form überzeugt es die Märkte nicht.
Fürchten Sie nicht die Inflation, die dann folgen würde?
Natürlich ist es nicht gut, Geld zu drucken.
Ich glaube aber, dass es im Moment noch die beste Lösung wäre. Die EZB könnte die Situation so stabilisieren. Natürlich ist das aber keine Dauerlösung.
Gerade haben sich die Euro-Länder auf schärfere Sanktionen und Schuldenbremsen geeinigt. Reicht dieses Signal Ihrer Meinung nach nicht aus?
Sie müssen sich überlegen, was mit den hoch verschuldeten Staaten nun passieren wird. Die Ausgabenkürzung wird die Konjunktur in den südlichen Ländern abermals verschlechtern, was wiederum die relative Verschuldung hochtreibt. Darauf reagieren wiederum die Bondmärkte.
Ein Teufelskreis also. Was bedeutet das für die Zukunft Griechenlands?
Natürlich wird man versuchen, Griechenland weiter im Euro zu halten, doch meiner Meinung nach wird das nicht klappen. Sobald die Banken genug Zeit hatten, ihre Staatsanleihen und Privatkredite abzuschreiben, wird Griechenland aus dem Euro austreten müssen. Einfach, weil sonst die Transferzahlungen ausufern werden. Hinzu kommt die Frage, ob in einer Demokratie solch eine umfassende Sanierung eines Landes überhaupt möglich ist. Ich persönlich glaube es nicht. Die meisten sehen nur die Staatsschulden, vergessen die Schulden der Banken und vergessen noch mehr die politischen Probleme, die erwachsen werden.
Griechenland, aber auch Spanien oder Italien, das sind Länder, bei denen ich mir einfach nicht vorstellen kann, wie sie ihren Schuldenberg je abtragen werden können.
Unter solchen Prämissen müssten für Ihre Kunden viele Staatsanleihen tabu sein.
Das stimmt, wir haben diese Papiere von vornherein nicht gekauft. Zwischendurch hatten wir ein paar einjährige Italiener, heute haben wir außer Bundesanleihen keine Euro-Staatsbonds mehr und halten fast ausschließlich Unternehmensanleihen. Das ist auch nicht immer toll, aber die Bonität guter Unternehmen ist unterm Strich doch besser als die schlechter Länder.
Sie gehen mittelfristig von gewaltigen Umwälzungen in der Eurozone aus. Wie positionieren Sie vor diesem Hintergrund das Vermögen Ihrer Kunden?
Erst mal muss ich sagen, dass das Gerede, dass Deutschland vom Euro nur profitiert hat, nicht stimmt. Der Vorteil im Export ist meines Erachtens keineswegs so groß, wie oft behauptet wird. Und in der wesentlich größeren Binnenwirtschaft haben wir unterm Strich gelitten. Daher glaube ich nicht daran, dass es Deutschland das Genick bricht, wenn der Euro auseinanderfallen würde. Jetzt zu Ihrer Frage. Spielt man durch, dass Deutschland wieder zur Mark zurückkehrt, würde diese aufwerten. Exportunternehmen wären dann hierzulande sicherlich keine so gute Anlage mehr. Bevorzugen würde ich dann binnen- oder konsumorientierte Aktien. Deutsche Anleihen wären dann sicherlich auch interessant. Auch Gold halte ich in solch einem Szenario weiterhin für eine gute Sache. Und zudem sollte man den Blick nicht zu sehr auf Europa fixieren.
Wo spielt denn Ihrer Meinung nach die Musik?
Wir haben bei DJE in den letzten Jahren zunehmend die Analyse in Asien vorangetrieben und beschäftigen uns vor allem intensiv mit Hongkong. Früher hatten wir in Deutschland den Ruf, führend bei den Mid Caps zu sein. Das versuchen wir auf die
Mid Caps in Hongkong zu übertragen. Das ist eine Nische, die von den Europäern und Amerikanern oft noch nicht beachtet wird, und wir finden da einen Haufen Schmankerl.
Also volle Kraft voraus?
Nein, im Moment ist es noch zu früh, um dort voll zu investieren. Wir haben Anfangspositionen aufgebaut, warten aber noch ab. Derzeit betreibt die chinesische Notenbank eher eine Strategie der geldpolitischen Straffung, auch Quantitative Tightening genannt, um die hohe Inflation zu bekämpfen. Das dämpft die Aktienkursentwicklung. Ich habe mir allerdings schon viele Fabriken und Dienstleistungsunternehmen in Hongkong und China angeschaut. Kommt auch monetär grünes Licht, dann sind wir dabei. Denn dort sehe ich, im Gegensatz zu Europa,
zumindest die Aussicht auf erhebliche Gewinne in den nächsten Jahren.
Das Interview führte Julia Roebke.
Interview mit Jens Ehrhardt - boersen-zeitung.de:
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