Und immer wieder die bösen Banker
Verfasst: 03.05.2012 21:06
Untergetauchter Depfa-Chef
Auf der Spur des Phantom-Bankers
Von Stefan Kaiser
Er war einer der bestverdienenden deutschen Banker - und machte sich aus dem Staub, bevor seine Geschäfte das Land in die Krise stürzten. Gerhard Bruckermann gilt als einer der Hauptschuldigen für das Desaster der Hypo Real Estate. Seitdem ist er verschwunden. Seine Spur führt um die halbe Welt.
Hamburg - Es war der Deal seines Lebens. Im Jahr 2007 verkaufte Gerhard Bruckermann die irische Bank Depfa an die Hypo Real Estate - ein Geschäft, das Bruckermann selbst gut 100 Millionen Euro einbrachte und dem deutschen Staat wohl viele Milliarden Euro Verluste. Denn es waren vor allem die in der Depfa verborgenen Risiken, die die Hypo Real Estate zu einem Fall für den Rettungsfonds machten.
Wenn jemand in Deutschland für die Mentalität steht, die zur Bankenkrise geführt hat, dann ist es Bruckermann. Es gibt viele Fragen, die man ihm stellen könnte, doch Bruckermann ist verschwunden. Als im Jahr 2009 der Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Hypo Real Estate (HRE) tagte, wollten die Parlamentarier den ehemaligen Depfa-Chef als Zeugen vorladen - ohne Erfolg: Die Abgeordneten konnten keinen Wohnort ausfindig machen. Die wenigen Spuren, die Bruckermann hinterlässt, deuten darauf hin, dass es dem ehemaligen Bankchef ganz gut geht: Ein Foto auf der Internetseite einer US-Lokalzeitung zeigte ihn vor zwei Jahren mit seiner Frau bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Florida. Bruckermann, braungebrannt, hält einen Drink in der Hand und strahlt in die Kamera. Er trägt das Haar jetzt wieder länger als zu Banker-Zeiten. "Ich lebe nicht, um zu arbeiten", hat er vor Jahren mal in einem Interview gesagt. Florida ist für Bruckermann offenbar zumindest vorübergehend zu einer neuen Heimat geworden. Im vergangenen Jahr kaufte seine amerikanische Frau ein Haus im Nobelort Naples - umgeben von Palmen und mit eigenem Zugang zum Meer. Preis: 3,5 Millionen Dollar. Nach wenigen Monaten schlug sie die Traumvilla allerdings wieder los. Wo die Bruckermanns nun wohnen, ist unbekannt. Auch gesellschaftlich ist der Ex-Banker anscheinend nicht gerade isoliert: Eine ehemalige Depfa-Mitarbeiterin und Vertraute Bruckermanns stellte 2011 ein Bild auf ihre Facebook-Seite, das den Finanzrentner mit dunklem Anzug und blauer Krawatte zeigt. Direkt neben ihm steht der frühere Uno-Generalsekretär Kofi Annan. Bruckermann ist nicht der einzige Katastrophenbanker, der sich nach der Krise ein angenehmes Leben macht. Der ehemalige HRE-Chef Georg Funke zum Beispiel lebt mittlerweile auf Mallorca und verdingt sich als Immobilienmakler. Zugleich klagt er auf Zahlung seiner Abfindung in Höhe 3,5 Millionen Euro plus 47.000 Euro Monatsrente. "Ich habe nichts getan, vor dem ich weglaufen müsste", sagte er kürzlich der "Bild"-Zeitung.
Eines unterscheidet Bruckermann von Funke und den anderen Ex-Chefs früherer Skandalbanken wie IKB oder HSH Nordbank: Er hat nichts zu befürchten. Er ist nicht verurteilt, ihm droht kein Prozess, gegen ihn wird nicht ermittelt. Deshalb hat er auch kein Interesse daran, sich öffentlich zu äußern. Sein Ruf ist schließlich ohnehin schon ruiniert. Womöglich müsste er noch einmal nach Deutschland kommen, wenn er als Zeuge zu einem Prozess gegen Ex-HRE-Chef Funke geladen würde. Doch derzeit sieht es nicht so aus, als käme es bald zu einem solchen Prozess. Die Staatsanwaltschaft ermittelt zwar, hat aber bisher noch keine Anklage gegen Funke erhoben. Der ehemalige HRE-Chef weist die Vorwürfe zurück. Er gibt stattdessen dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück die Schuld am Niedergang der Bank.
Bruckermann ist das Gesicht der Bankenkrise - doch seltsam: Wer mit Bruckermanns Wegbegleitern spricht, der gewinnt den Eindruck, dass da kein klassischer Bösewicht am Werk war, kein finsterer Investmentbanker wie Gordon Gekko im Filmklassiker "Wall Street". Vielmehr entsteht das Bild eines charmanten Schlitzohrs, dessen Ausstrahlung und Sympathie Gesprächspartner so überzeugte, dass sie gar nicht mehr fragten, was Bruckermann ihnen da anpries. Wenn der Schaden, den er angerichtet hat, nicht so groß wäre, könnte man darüber lachen, wie er seine Geschäftspartner genarrt haben soll. Gerhard Bruckermann wird 1947 in Solingen geboren. Sein Vater Erwin leitet die Kreditabteilung der örtlichen Sparkasse. Er vergibt Darlehen an mittelständische Unternehmen. An gebündelte US-Immobilienkredite denkt damals in Solingen niemand. Sohn Gerhard studiert Jura - unter anderem in Regensburg. Ein damaliger Kommilitone bezeichnet seinen Ehrgeiz als "begrenzt", seine juristischen Leistungen als "mittelmäßig". Dafür hat Bruckermann ein anderes Talent: Er kann Leute für sich einnehmen. "Ausgesprochen nett und charmant" sei Bruckermann, sagt einer, der ihn von früher kennt. "Ein rheinischer Filou." Der Aufstieg des lässigen Studenten zum Top-Banker sei eher "eine Felix-Krull-Geschichte" - in Anlehnung an die Romanfigur von Thomas Mann, die mit viel Empathie die feine Gesellschaft narrt. "Ich wusste von Banken nicht viel", wird Bruckermann später einmal freimütig zugeben. Trotzdem beginnt er nach dem Studium ein Trainee-Programm beim Rheinischen Sparkassen- und Giroverband und wechselt anschließend in die internationale Abteilung der Westdeutschen Landesbank (WestLB). Nach einer Station bei der Deutschen Bank wechselt er 1991 in den Vorstand der ehemaligen Deutschen Pfandbriefanstalt, die sich modisch schlicht Depfa nennt. Die ehemalige Staatsbank ist gerade privatisiert worden, aber noch immer so ziemlich das Biederste, was man sich in der Finanzwelt vorstellen kann. Sie leiht Staaten Geld, finanziert Infrastrukturprojekte wie Brücken und Autobahnen. Langweilig, befindet Bruckermann - und beginnt, das Institut umzukrempeln. Im Jahr 2000 wird er Chef der Bank. Zwei Jahre später verlagert er ihren Sitz nach Irland. Dort locken niedrige Steuersätze, und auch die Aufsichtsregeln für Finanzinstitute sind lascher als in Deutschland.
Bruckermann verwandelt die einst biedere Pfandbriefbank in einen verkappten Hedgefonds. Das Institut kauft öffentliche Anleihen, die oft über 10 oder 30 Jahre laufen. Um mehr Geld aus diesem langweiligen Geschäft zu holen, finanziert Bruckermann diese langfristigen Kredite allerdings immer kurzfristiger. Seine Bank leiht sich Geld für wenige Tage oder Wochen - und muss dafür sehr niedrige Zinsen zahlen. Die Differenz zu den höheren Renditen der Staatsanleihen streicht sie als Gewinn ein. Die Staatsfinanzierung sei "ein ungeschliffener Juwel", jubelt Bruckermann. Im Jahr 2004 erreicht die Bank eine Eigenkapitalrendite von 32,9 Prozent - davon kann selbst Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann nur träumen. Bruckermann wird von seinen Wegbegleitern als "Visionär" gefeiert. Nur einige Investoren werden unruhig und fragen, warum die Bank eine so dünne Eigenkapitaldecke habe. Bruckermann lässt solche kritischen Fragen an sich abperlen. Sein Lächeln überzeugt. Im Gegenzug für die hohe Rendite, die er liefert, erhält er auch ein hohes Gehalt. Schätzungen zufolge soll er allein im Jahr 2004 7,4 Millionen Euro bezogen haben. Bruckermann gehört zu dieser Zeit zu den zehn bestverdienenden Top-Managern in Europa. Den Großteil des Geldes bezieht er in Form von Depfa-Aktien. Doch das Geschäftsmodell trägt nicht ewig. Weil langfristige und kurzfristige Zinsen sich immer weiter annähern, schrumpft die Rendite. Die Krise zerstört das Vertrauen zwischen den Banken. Die kurzfristigen Kredite, die die Depfa so dringend braucht, werden deshalb immer teurer. In ihrer Not muss die Bank hastig Anleihen verkaufen. Anfang 2007 rutscht die Kapitalmarktsparte der Depfa-Bank in die Verlustzone - für Bruckermann das Signal: Er muss das Institut so schnell wie möglich loswerden. Doch wer kauft eine Bank, die ganz offensichtlich in großen Schwierigkeiten steckt? Hier kommt Georg Funke ins Spiel. Der damalige Chef des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate will das ganz große Rad drehen. Er sucht nach Übernahmezielen - und findet Bruckermann. "Depfa, das ist Klasse, nicht Masse", jubelt Funke. Im Oktober 2007 übernimmt die HRE den Staatsfinanzierer für 5,7 Milliarden Euro. Bruckermann kann sein Paket mit Depfa-Aktien in HRE-Papiere tauschen und diese sofort verkaufen. Das ist ziemlich unüblich, normalerweise werden bei Übernahmen lange Haltefristen für das ehemalige Management vereinbart. Bruckermann jedoch streicht gut 100 Millionen Euro ein - und geht. Funke bietet ihm zwar noch einen Posten im Aufsichtsrat der HRE an, doch der ehemalige Bankchef lehnt dankend ab. Bruckermann handelt wie einer, der genau weiß, was Depfa und HRE bevorsteht. Als ein Jahr später, im Herbst 2008, die Hypo Real Estate unter den Lasten der Depfa zusammenzubrechen droht und vom Staat mit mehr als 100 Milliarden Euro gestützt werden muss, ist vom Solinger Luftikus nichts mehr zu hören. Das Finanzsystem bebt. Bruckermann ist weg. So ganz kann der Banker das Geschäft mit dem Geld auch nach seinem Abgang nicht lassen. Statt an Staaten verleiht er es nun aber lieber an arme Frauen, zum Beispiel in Kambodscha. Schon zu Depfa-Zeiten saß er dort im Vorstand von AMK - einem Unternehmen, das Kleinstkredite an Menschen vergibt, die bei normalen Banken nichts bekommen. Hier machte Bruckermann auch nach seinem Ausscheiden bei der Depfa weiter - und holte zwischenzeitlich noch ein paar alte Bekannte in den Vorstand: seinen Ex-Vize bei der Depfa, Thomas Kolbeck, und seine enge Vertraute Rebecca McKenzie. Die Idee hört sich selbstlos an, der Ökonom Muhammad Yunus erhielt dafür 2006 den Friedensnobelpreis. Doch inzwischen ist das Geschäftsmodell höchst umstritten. Viele Mikrokreditgeber verlangen teils horrende Zinsen. Bei AMK etwa waren es laut Geschäftsbericht in den Jahren 2007 und 2008 rund 35 Prozent. Das Geld geht zu mehr als 80 Prozent an Frauen. Doch viele davon wissen nicht, wie sie es zurückzahlen sollen - und nehmen deshalb den nächsten Kredit auf. Es entsteht eine Verschuldungsspirale, ganz ähnlich wie bei der großen Finanzkrise. Bruckermann selbst sah das zumindest vor der Krise weniger problematisch. "Die Kredite sind wirklich klein, und man braucht solche Zinssätze, um die Kosten zu decken", sagte er im Sommer 2008 dem Finanzdienst "The Street". Es war das letzte Interview vor seinem Abtauchen. Viele Experten üben harsche Kritik an den Praktiken der Mikrokreditfirmen. "Das Konzept ist absurd", sagt Christa Wichterich, die zahlreiche Aufsätze zum Thema verfasst hat. Für die Kreditnehmer seien die Unterschiede zu den Angeboten lokaler Wucherer oft nur gering. Dass nun auch noch große Fonds in das Geschäft einsteigen, hinter denen Renditeerwartungen von Investoren stehen, habe die Zinsen weiter steigen lassen. Seit etwa zwei Jahren kommen aus Indien immer wieder Meldungen über Selbstmorde hoch verschuldeter Frauen. Bruckermann ist mittlerweile zwar aus dem Vorstand der kambodschanischen AMK ausgeschieden. Doch mit McKenzie und anderen Vertrauten hat er die Finanzgesellschaft Agora Microfinance gegründet, die in Mikrokreditunternehmen in Asien und Afrika investiert, unter anderem in AMK. Ende 2011 legte die Gesellschaft einen Fonds auf, der Investorengelder von bis zu 80 Millionen Dollar anlocken soll. "Unsere Mission ist es, die Sozialrendite von Mikrokrediten zu maximieren und gleichzeitig unseren Investoren eine faire und attraktive Finanzrendite zu bieten", heißt es auf der Website des Unternehmens. Agora residiert in Bruckermanns ehemaligem Wohnhaus in der Londoner Innenstadt. Hier arbeitet mittlerweile auch sein Sohn Willis, eines von drei Kindern. Über seinen Vater will er lieber nicht reden. Der sei nicht mehr bei Agora aktiv, teilt Bruckermann junior am Telefon kurz mit. Auch über die Firma dürfe er nicht sprechen. Man solle sich lieber an den Chef wenden, den Ex-Banker Marcus Fedder. Doch der antwortet trotz mehrmaliger Anfrage nicht.
Am Ende bleibt Bruckermann ein Phantom. Seine Spuren führen nach London, Florida und Kambodscha. Manche vermuten ihn auch auf einer Orangenplantage in Südspanien. Im Herbst wird Bruckermann 65. Dass er jemals wieder in Deutschland auftaucht oder hier gar Steuern zahlt, ist unwahrscheinlich. Die Hypo Real Estate hat mittlerweile übrigens einen neuen Namen: Sie nennt sich jetzt Deutsche Pfandbriefbank - das soll so langweilig klingen wie einst bei der Depfa. Denn heute findet langweilig irgendwie jeder gut.
Quelle: Spiegel-online
Auf der Spur des Phantom-Bankers
Von Stefan Kaiser
Er war einer der bestverdienenden deutschen Banker - und machte sich aus dem Staub, bevor seine Geschäfte das Land in die Krise stürzten. Gerhard Bruckermann gilt als einer der Hauptschuldigen für das Desaster der Hypo Real Estate. Seitdem ist er verschwunden. Seine Spur führt um die halbe Welt.
Hamburg - Es war der Deal seines Lebens. Im Jahr 2007 verkaufte Gerhard Bruckermann die irische Bank Depfa an die Hypo Real Estate - ein Geschäft, das Bruckermann selbst gut 100 Millionen Euro einbrachte und dem deutschen Staat wohl viele Milliarden Euro Verluste. Denn es waren vor allem die in der Depfa verborgenen Risiken, die die Hypo Real Estate zu einem Fall für den Rettungsfonds machten.
Wenn jemand in Deutschland für die Mentalität steht, die zur Bankenkrise geführt hat, dann ist es Bruckermann. Es gibt viele Fragen, die man ihm stellen könnte, doch Bruckermann ist verschwunden. Als im Jahr 2009 der Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Hypo Real Estate (HRE) tagte, wollten die Parlamentarier den ehemaligen Depfa-Chef als Zeugen vorladen - ohne Erfolg: Die Abgeordneten konnten keinen Wohnort ausfindig machen. Die wenigen Spuren, die Bruckermann hinterlässt, deuten darauf hin, dass es dem ehemaligen Bankchef ganz gut geht: Ein Foto auf der Internetseite einer US-Lokalzeitung zeigte ihn vor zwei Jahren mit seiner Frau bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Florida. Bruckermann, braungebrannt, hält einen Drink in der Hand und strahlt in die Kamera. Er trägt das Haar jetzt wieder länger als zu Banker-Zeiten. "Ich lebe nicht, um zu arbeiten", hat er vor Jahren mal in einem Interview gesagt. Florida ist für Bruckermann offenbar zumindest vorübergehend zu einer neuen Heimat geworden. Im vergangenen Jahr kaufte seine amerikanische Frau ein Haus im Nobelort Naples - umgeben von Palmen und mit eigenem Zugang zum Meer. Preis: 3,5 Millionen Dollar. Nach wenigen Monaten schlug sie die Traumvilla allerdings wieder los. Wo die Bruckermanns nun wohnen, ist unbekannt. Auch gesellschaftlich ist der Ex-Banker anscheinend nicht gerade isoliert: Eine ehemalige Depfa-Mitarbeiterin und Vertraute Bruckermanns stellte 2011 ein Bild auf ihre Facebook-Seite, das den Finanzrentner mit dunklem Anzug und blauer Krawatte zeigt. Direkt neben ihm steht der frühere Uno-Generalsekretär Kofi Annan. Bruckermann ist nicht der einzige Katastrophenbanker, der sich nach der Krise ein angenehmes Leben macht. Der ehemalige HRE-Chef Georg Funke zum Beispiel lebt mittlerweile auf Mallorca und verdingt sich als Immobilienmakler. Zugleich klagt er auf Zahlung seiner Abfindung in Höhe 3,5 Millionen Euro plus 47.000 Euro Monatsrente. "Ich habe nichts getan, vor dem ich weglaufen müsste", sagte er kürzlich der "Bild"-Zeitung.
Eines unterscheidet Bruckermann von Funke und den anderen Ex-Chefs früherer Skandalbanken wie IKB oder HSH Nordbank: Er hat nichts zu befürchten. Er ist nicht verurteilt, ihm droht kein Prozess, gegen ihn wird nicht ermittelt. Deshalb hat er auch kein Interesse daran, sich öffentlich zu äußern. Sein Ruf ist schließlich ohnehin schon ruiniert. Womöglich müsste er noch einmal nach Deutschland kommen, wenn er als Zeuge zu einem Prozess gegen Ex-HRE-Chef Funke geladen würde. Doch derzeit sieht es nicht so aus, als käme es bald zu einem solchen Prozess. Die Staatsanwaltschaft ermittelt zwar, hat aber bisher noch keine Anklage gegen Funke erhoben. Der ehemalige HRE-Chef weist die Vorwürfe zurück. Er gibt stattdessen dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück die Schuld am Niedergang der Bank.
Bruckermann ist das Gesicht der Bankenkrise - doch seltsam: Wer mit Bruckermanns Wegbegleitern spricht, der gewinnt den Eindruck, dass da kein klassischer Bösewicht am Werk war, kein finsterer Investmentbanker wie Gordon Gekko im Filmklassiker "Wall Street". Vielmehr entsteht das Bild eines charmanten Schlitzohrs, dessen Ausstrahlung und Sympathie Gesprächspartner so überzeugte, dass sie gar nicht mehr fragten, was Bruckermann ihnen da anpries. Wenn der Schaden, den er angerichtet hat, nicht so groß wäre, könnte man darüber lachen, wie er seine Geschäftspartner genarrt haben soll. Gerhard Bruckermann wird 1947 in Solingen geboren. Sein Vater Erwin leitet die Kreditabteilung der örtlichen Sparkasse. Er vergibt Darlehen an mittelständische Unternehmen. An gebündelte US-Immobilienkredite denkt damals in Solingen niemand. Sohn Gerhard studiert Jura - unter anderem in Regensburg. Ein damaliger Kommilitone bezeichnet seinen Ehrgeiz als "begrenzt", seine juristischen Leistungen als "mittelmäßig". Dafür hat Bruckermann ein anderes Talent: Er kann Leute für sich einnehmen. "Ausgesprochen nett und charmant" sei Bruckermann, sagt einer, der ihn von früher kennt. "Ein rheinischer Filou." Der Aufstieg des lässigen Studenten zum Top-Banker sei eher "eine Felix-Krull-Geschichte" - in Anlehnung an die Romanfigur von Thomas Mann, die mit viel Empathie die feine Gesellschaft narrt. "Ich wusste von Banken nicht viel", wird Bruckermann später einmal freimütig zugeben. Trotzdem beginnt er nach dem Studium ein Trainee-Programm beim Rheinischen Sparkassen- und Giroverband und wechselt anschließend in die internationale Abteilung der Westdeutschen Landesbank (WestLB). Nach einer Station bei der Deutschen Bank wechselt er 1991 in den Vorstand der ehemaligen Deutschen Pfandbriefanstalt, die sich modisch schlicht Depfa nennt. Die ehemalige Staatsbank ist gerade privatisiert worden, aber noch immer so ziemlich das Biederste, was man sich in der Finanzwelt vorstellen kann. Sie leiht Staaten Geld, finanziert Infrastrukturprojekte wie Brücken und Autobahnen. Langweilig, befindet Bruckermann - und beginnt, das Institut umzukrempeln. Im Jahr 2000 wird er Chef der Bank. Zwei Jahre später verlagert er ihren Sitz nach Irland. Dort locken niedrige Steuersätze, und auch die Aufsichtsregeln für Finanzinstitute sind lascher als in Deutschland.
Bruckermann verwandelt die einst biedere Pfandbriefbank in einen verkappten Hedgefonds. Das Institut kauft öffentliche Anleihen, die oft über 10 oder 30 Jahre laufen. Um mehr Geld aus diesem langweiligen Geschäft zu holen, finanziert Bruckermann diese langfristigen Kredite allerdings immer kurzfristiger. Seine Bank leiht sich Geld für wenige Tage oder Wochen - und muss dafür sehr niedrige Zinsen zahlen. Die Differenz zu den höheren Renditen der Staatsanleihen streicht sie als Gewinn ein. Die Staatsfinanzierung sei "ein ungeschliffener Juwel", jubelt Bruckermann. Im Jahr 2004 erreicht die Bank eine Eigenkapitalrendite von 32,9 Prozent - davon kann selbst Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann nur träumen. Bruckermann wird von seinen Wegbegleitern als "Visionär" gefeiert. Nur einige Investoren werden unruhig und fragen, warum die Bank eine so dünne Eigenkapitaldecke habe. Bruckermann lässt solche kritischen Fragen an sich abperlen. Sein Lächeln überzeugt. Im Gegenzug für die hohe Rendite, die er liefert, erhält er auch ein hohes Gehalt. Schätzungen zufolge soll er allein im Jahr 2004 7,4 Millionen Euro bezogen haben. Bruckermann gehört zu dieser Zeit zu den zehn bestverdienenden Top-Managern in Europa. Den Großteil des Geldes bezieht er in Form von Depfa-Aktien. Doch das Geschäftsmodell trägt nicht ewig. Weil langfristige und kurzfristige Zinsen sich immer weiter annähern, schrumpft die Rendite. Die Krise zerstört das Vertrauen zwischen den Banken. Die kurzfristigen Kredite, die die Depfa so dringend braucht, werden deshalb immer teurer. In ihrer Not muss die Bank hastig Anleihen verkaufen. Anfang 2007 rutscht die Kapitalmarktsparte der Depfa-Bank in die Verlustzone - für Bruckermann das Signal: Er muss das Institut so schnell wie möglich loswerden. Doch wer kauft eine Bank, die ganz offensichtlich in großen Schwierigkeiten steckt? Hier kommt Georg Funke ins Spiel. Der damalige Chef des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate will das ganz große Rad drehen. Er sucht nach Übernahmezielen - und findet Bruckermann. "Depfa, das ist Klasse, nicht Masse", jubelt Funke. Im Oktober 2007 übernimmt die HRE den Staatsfinanzierer für 5,7 Milliarden Euro. Bruckermann kann sein Paket mit Depfa-Aktien in HRE-Papiere tauschen und diese sofort verkaufen. Das ist ziemlich unüblich, normalerweise werden bei Übernahmen lange Haltefristen für das ehemalige Management vereinbart. Bruckermann jedoch streicht gut 100 Millionen Euro ein - und geht. Funke bietet ihm zwar noch einen Posten im Aufsichtsrat der HRE an, doch der ehemalige Bankchef lehnt dankend ab. Bruckermann handelt wie einer, der genau weiß, was Depfa und HRE bevorsteht. Als ein Jahr später, im Herbst 2008, die Hypo Real Estate unter den Lasten der Depfa zusammenzubrechen droht und vom Staat mit mehr als 100 Milliarden Euro gestützt werden muss, ist vom Solinger Luftikus nichts mehr zu hören. Das Finanzsystem bebt. Bruckermann ist weg. So ganz kann der Banker das Geschäft mit dem Geld auch nach seinem Abgang nicht lassen. Statt an Staaten verleiht er es nun aber lieber an arme Frauen, zum Beispiel in Kambodscha. Schon zu Depfa-Zeiten saß er dort im Vorstand von AMK - einem Unternehmen, das Kleinstkredite an Menschen vergibt, die bei normalen Banken nichts bekommen. Hier machte Bruckermann auch nach seinem Ausscheiden bei der Depfa weiter - und holte zwischenzeitlich noch ein paar alte Bekannte in den Vorstand: seinen Ex-Vize bei der Depfa, Thomas Kolbeck, und seine enge Vertraute Rebecca McKenzie. Die Idee hört sich selbstlos an, der Ökonom Muhammad Yunus erhielt dafür 2006 den Friedensnobelpreis. Doch inzwischen ist das Geschäftsmodell höchst umstritten. Viele Mikrokreditgeber verlangen teils horrende Zinsen. Bei AMK etwa waren es laut Geschäftsbericht in den Jahren 2007 und 2008 rund 35 Prozent. Das Geld geht zu mehr als 80 Prozent an Frauen. Doch viele davon wissen nicht, wie sie es zurückzahlen sollen - und nehmen deshalb den nächsten Kredit auf. Es entsteht eine Verschuldungsspirale, ganz ähnlich wie bei der großen Finanzkrise. Bruckermann selbst sah das zumindest vor der Krise weniger problematisch. "Die Kredite sind wirklich klein, und man braucht solche Zinssätze, um die Kosten zu decken", sagte er im Sommer 2008 dem Finanzdienst "The Street". Es war das letzte Interview vor seinem Abtauchen. Viele Experten üben harsche Kritik an den Praktiken der Mikrokreditfirmen. "Das Konzept ist absurd", sagt Christa Wichterich, die zahlreiche Aufsätze zum Thema verfasst hat. Für die Kreditnehmer seien die Unterschiede zu den Angeboten lokaler Wucherer oft nur gering. Dass nun auch noch große Fonds in das Geschäft einsteigen, hinter denen Renditeerwartungen von Investoren stehen, habe die Zinsen weiter steigen lassen. Seit etwa zwei Jahren kommen aus Indien immer wieder Meldungen über Selbstmorde hoch verschuldeter Frauen. Bruckermann ist mittlerweile zwar aus dem Vorstand der kambodschanischen AMK ausgeschieden. Doch mit McKenzie und anderen Vertrauten hat er die Finanzgesellschaft Agora Microfinance gegründet, die in Mikrokreditunternehmen in Asien und Afrika investiert, unter anderem in AMK. Ende 2011 legte die Gesellschaft einen Fonds auf, der Investorengelder von bis zu 80 Millionen Dollar anlocken soll. "Unsere Mission ist es, die Sozialrendite von Mikrokrediten zu maximieren und gleichzeitig unseren Investoren eine faire und attraktive Finanzrendite zu bieten", heißt es auf der Website des Unternehmens. Agora residiert in Bruckermanns ehemaligem Wohnhaus in der Londoner Innenstadt. Hier arbeitet mittlerweile auch sein Sohn Willis, eines von drei Kindern. Über seinen Vater will er lieber nicht reden. Der sei nicht mehr bei Agora aktiv, teilt Bruckermann junior am Telefon kurz mit. Auch über die Firma dürfe er nicht sprechen. Man solle sich lieber an den Chef wenden, den Ex-Banker Marcus Fedder. Doch der antwortet trotz mehrmaliger Anfrage nicht.
Am Ende bleibt Bruckermann ein Phantom. Seine Spuren führen nach London, Florida und Kambodscha. Manche vermuten ihn auch auf einer Orangenplantage in Südspanien. Im Herbst wird Bruckermann 65. Dass er jemals wieder in Deutschland auftaucht oder hier gar Steuern zahlt, ist unwahrscheinlich. Die Hypo Real Estate hat mittlerweile übrigens einen neuen Namen: Sie nennt sich jetzt Deutsche Pfandbriefbank - das soll so langweilig klingen wie einst bei der Depfa. Denn heute findet langweilig irgendwie jeder gut.
Quelle: Spiegel-online