von tibesti » 08.07.2011 11:20
Starökonom Max Otte
„Die Euro-Rettung ist Demagogie!“
Freitag, 08.07.2011, 06:16 ·
FOCUS Online: Herr Otte, Sie wenden sich jetzt eigens mit einer Streitschrift „Stoppt das Euro-Desaster!“, die im Lauf des Juli erscheint, an die Öffentlichkeit. Ist eine solche Schrift noch notwendig? Ein zweites Hilfsprogramm für Griechenland ist auf dem Weg, der Euro-Rettungsschirm EFSF wird kräftig ausgeweitet. Und selbst der griechische Ministerpräsident Papandreou genießt weiter das Vertrauen seines Parlaments. Damit sollte die Währung doch endgültig aus dem Schneider sein.
Max Otte: Eine „Euro-Krise“ gibt es ohnehin nicht. Es wird hier ein riesiger Etikettenschwindel betrieben. Dieses schändliche Spiel gilt es zu stoppen. Denn die ständigen Aufrufe von Merkel, Juncker & Co., den Euro oder Griechenland oder Europa zu retten, sind politische Lügen.
FOCUS Online: Es geht gar nicht um Euro oder Europa?
Otte: Absolut nicht. Es profitieren weder Europa noch die griechischen Bürger oder die Bevölkerung der Geberländer wie Deutschland von den Abermilliarden an Euro, die hier wieder lockergemacht werden. Es profitieren allein die Banken, die sich diesmal mit griechischen Anleihen verzockt haben. Also noch mal: Wir haben keine Euro-Krise. Es gibt eine neue Bankenkrise.
Vita Max Otte
Geboren am 7. Oktober 1964 in Plettenberg (Sauerland)
Otte studierte Volkswirtschaft an der Uni Köln, promovierte an der Princeton University in New Jersey (USA) und ist Professor an der Uni Graz.
Der verheiratete Vater zweier Kinder gilt als Autorität auf dem Gebiet des wertorientierten Investierens und managt seinen eigenen Fonds.
Bekannt wurde Otte durch sein 2006 veröffentlichtes Buch „Der Crash kommt“, in dem er die Finanzkrise voraussagte. Als Wissenschaftler und Investor kritisiert er die aktuelle Entwicklung beim Euro.
FOCUS Online: Aber es dürfte doch unbestritten sein, dass Griechenland Hilfe der Euro-Partner dringend benötigt.
Otte: Ja, aber Hauptnutznießer dieser Hilfen sind vor allem Investmentbanken und Superreiche als größte Geldgeber Griechenlands. Bei ihnen handelt es sich ja nicht um die Kreissparkasse Dinkelsdorf, sondern um erfahrene Fachleute, die auch die Risiken solcher Anlagen kennen müssten. Und just sie werden von Haftung und sämtlichen Konsequenzen ihrer kaufmännischen Entscheidungen freigestellt. Da läuft doch etwas gewaltig schief. Und die Bürgerinnen und Bürger spüren das. Sie wissen, dass sie am Ende die Dummen sind. Das alles unter dem Deckmantel der Euro-Rettung. Die Steuerzahler sollten sich wehren. Daher meine Streitschrift. Ich will mir später nicht vorwerfen müssen, als Wissenschaftler und Finanzexperte nicht zeitig vor dem heraufziehenden Desaster gewarnt zu haben.
FOCUS Online: Ungeschoren kommen doch auch die Banken nicht davon. Private Gläubiger sollen diesmal einen freiwilligen Beitrag leisten.
Otte: Schon wieder so ein irreführender Propagandabegriff. Denn das Wort „privat“ suggeriert, dass es sich um normale Bürgerinnern und Bürger handelt. Das stimmt aber nicht. Private Gläubiger sind Banken und Finanzdienstleister – allen voran griechische Banken. Diese sind oft in der Hand griechischer Milliardäre und Oligarchen. Das sind die Akteure, die wir „retten“. Und freiwillig werden die nicht auf ihr Geld verzichten.
„Die Rettungspakete retten die Superreichen“
BloombergDeutsche-Bank-Vorstandschef Josef Ackermann: Wie viel Geld kommt von den Instituten?
FOCUS Online: Dennoch: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will einen „substanziellen Beitrag“ dieser Adressen zur Griechenland-Rettung durchsetzen.
Otte: Da halte ich mal eine Wette: Es wird bestenfalls ein symbolischer Beitrag sein. Allein schon für die Verlängerung auslaufender Griechen-Anleihen verlangen die Banken wieder Bürgschaften des Staates. Das würde die Risiken erneut auf den Steuerzahler abwälzen. Da fehlen einem fast die Worte.
FOCUS Online: Wie wollen Sie denn die widerstrebenden Gläubiger zu fassen kriegen?
Otte: Das Beste wäre ein Schuldenschnitt – eine geordnete Staatsinsolvenz. Banken und andere Geldgeber müssten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Griechenland käme von seinem hohen Schuldenberg herunter und hätte finanziell wieder Luft zum Atmen. Auch die Geberländer wie Deutschland müssten dann nicht mehr immer neue Milliardenpakete in Richtung Athen oder andere Länder auf den Weg bringen.
FOCUS Online: Der Chef einer Frankfurter Privatbank erklärte einmal gegenüber FOCUS-MONEY, dass in der Historie Staatspleiten eher die Regel als die Ausnahme waren. Allein Kaiser Karl V. sei dreimal Konkurs gegangen. Sehen Sie das auch so?
Otte: Dem stimme ich absolut zu. Das ist nicht nur bei Karl V. passiert, sondern viele hundert Mal in der Geschichte. Nehmen Sie nur mal die lateinamerikanische Schuldenkrise gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Es ist doch schon oft durchexerziert worden, dass ein Staat Schulden gestrichen oder die Hand zum Offenbarungseid gehoben hat.
FOCUS Online: Und bei Griechenland würde das auch funktionieren?
Otte: Ja, natürlich. Wie es jetzt läuft, ist doch viel schlimmer: Die Rettungspakete retten die Superreichen. Gleichzeitig lenken sie von Amerika ab, das noch viel größere Probleme hat. Zudem setzen sich die wirtschaftspolitischen Vorstellungen Frankreichs durch. Das ist das eigentliche Drama. Und das ist doch alles kein Zufall.
FOCUS Online: Bei einem Schuldenschnitt würde Griechenland aber vom Kapitalmarkt abgeschnitten.
Otte: Wenn die Griechen sagen würden, wir sind pleite, hätten sie tatsächlich zuerst mal Probleme, neues Geld zu bekommen. Aber die haben sie ja heute schon. Andererseits ist Griechenland ein souveräner Staat. Irgendwer würde nach einer gewissen Frist dann schon wieder Geld leihen. Außerdem wäre es gut für die Haushaltsdiziplin.
FOCUS Online: Der holländische Finanzminister Jan Kees de Jager hat dem Parlament in Den Haag neue Gelder für Griechenland abgetrotzt, indem er das Horrorszenario eines Flächenbrands an die Wand malte: Eine Pleite würde auf andere Länder übergreifen und dann Euro und Konjunktur kippen.
Otte: Die Angst vor dem Flächenbrand wird immer wieder geschürt, um zu verhindern, dass Banken und Superreiche ihren Teil dazu beitragen, das angerichtete Desaster zu beheben. Eine klare, von vornherein feststehende Insolvenzordung könnte das verhindern.
FOCUS Online: Die Banken würde das aber Milliarden Euro kosten. Manche könnte in neue Existenznöte geraten.
Otte: Sicher würden einzelne Banken dann in Schwierigkeiten kommen. Dann kann man immer noch helfen und sie stützen oder – je nach Lage – abwickeln. Wir wissen ja inzwischen sehr gut, wie das geht. Neue Rettungspakete zögern die Pleite dagegen nur hinaus. Da bin ich ganz bei Frank Schäffler, dem Finanzexperten der FDP im Bundestag. Er sagt, dass neue Pakete letztlich nur dazu führen, dass die Schuldenspirale immer weiter gedreht wird. Eine Lösung der Probleme ist das nicht.
FOCUS Online: Sind die Politiker denn nicht gezwungen, sensibel und delikat vorzugehen? Ihr Argument ist doch immer: Man darf die Märkte nicht beunruhigen. Zudem wollen sie potenzielle Anleihenkäufer nicht verschrecken.
Otte: Dass sich durch neue Finanzpakete die Märkte dauerhaft beruhigen lassen, ist ein Witz. Bei den Risikoprämien und Zinsaufschlägen bei griechischen Anleihen und Bonds anderer Schuldnerstaaten kann man doch nicht von Beruhigung sprechen. Da herrscht vielmehr helle Aufregung. Und die Investoren geben Schuldnerländern wie Portugal oder Irland ohnehin kaum mehr Geld, und wenn doch, dann nur zu hohen Zinsen und weil sie genau wissen, dass die anderen Euro-Staaten im Ernstfall wieder einspringen.
„Die Bundesregierung ist komplett eingeknickt“
FOCUS Online: Vor rund einem Jahr nahmen Sie in Ihrem Buch „Die Krise hält sich nicht an Regeln“ schon mal zur ganzen Schuldenproblematik Stellung. Was hat Sie seitdem am meisten überrascht?
Otte: Ich hätte nie gedacht, dass die Bundesregierung so komplett einknickt, was die Stabilitätsfragen des Euro angeht – dass sie sich völlig über den Tisch ziehen und überfahren lässt. Sie hat im Prinzip eine deutsche Position nach der anderen aufgegeben. Von den vielen Ankündigungen von Kanzlerin Merkel, etwa dass alle Stützungen begrenzt sein und 2013 auslaufen müssen, ist nichts mehr übrig – ebenso von der deutschen Stabilitätskultur.
FOCUS Online: Wir haben aber noch die Bundesbank als wichtigste Stimme in der EZB.
Otte: Die Bundesbank ist heute Teil des Europäischen Zentralbankensystems und so der EZB angegliedert. Von der alten Bundesbank ist da nicht mehr viel übrig.
FOCUS Online: Die EZB ist aber wie früher die Bundesbank ebenso der Erhaltung der Stabilität und des Geldwerts verpflichtet.
Otte: Die EZB beging im vergangenen Jahr mit dem Aufkauf maroder Griechenland-Anleihen einen Tabubruch. Seitdem ist sie Partei und nicht mehr neutral. Inzwischen liegen an die 140 Milliarden Euro an griechischen Anleihen und Krediten in ihrer Bilanz. Deswegen wehrt sie sich doch mit Händen und Füßen gegen einen Zahlungsausfall Griechenlands und schürt die Ängste vor einem Schuldenschnitt.
FOCUS Online: Und wenn der doch kommt?
Otte: Fällt Griechenland aus, droht auch die Europäische Zentralbank zum Sanierungsfall zu werden. Weshalb, glauben Sie, trat der zwar sperrige, aber ebenso grundsatztreue ehemalige Bundesbankpräsident Axel Weber zurück? Die EZB entfernt sich immer mehr vom Erfolgsmodell Bundesbank und nähert sich dem amerikanischen Modell Federal Reserve an. Damit steigt die Gefahr einer Inflation.
FOCUS Online: Das klingt nicht wirklich gut, auch nicht für den Euro. Dabei brauchen wir die Währung doch für den Zusammenhalt Europas.
Otte: Das ist wieder so eine Irreführung, wie sie auch Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Minsterpräsident und Chef der Euro-Gruppe, ständig in die Welt setzt. Der wird nicht müde zu betonen, dass es um den Erhalt der europäischen Idee geht, und meint sogar mit Anspielung auf die Geschichte, ein Tag Krieg sei teurer als die ganze Rettungsaktionen für die Schuldenländer. Ich halte das für pure Demagogie.
FOCUS Online: Ist es denn nicht so?
Otte: Nein, der Schein trügt. Der Euro hat Europa nicht zusammengebracht, sondern gespalten. Da wurde eine Währung über völlig unterschiedliche Länder und Wirtschaftssysteme gestülpt. Das kann nicht gutgehen. Die einzelnen Volkswirtschaften driften auch wegen der fehlenden monetären Flexibilität weiter auseinander. Zudem gibt es weiterhin völlig unterschiedliche nationale Interessen. Die kann man nicht ohne Weiteres unter eine Währung zwingen. Deshalb wird der Euro in der heutigen Form letztlich scheitern.
FOCUS Online: Warum plötzlich so pessimistisch?
Otte: Ich bin nicht plötzlich pessimistisch. Diese Entwicklung habe ich schon 1998, vor der Einführung der Gemeinschaftswährung, vorausgesagt. Damals wollte sie in der allgemeinen Europa-Euphorie niemand hören.
FOCUS Online: Was wäre denn die Alternative zum Euro?
Otte: Das Europäische Währungssystem EWS, das wir von 1979 bis 1998 – also fast 20 Jahre – hatten, war wegweisend. Die europäischen Währungen wurden aneinander gekoppelt, um sie vor Attacken zu schützen. Wenn die Dinge dann trotzdem auseinanderklafften, wurden die Wechselkurse einmalig angepasst. Das war zwar nicht schön, aber es wurde offensichtlich, wenn ein Land sündigte. Das EWS hätte die jetzige Krise flexibler meistern können.
FOCUS Online: Herr Otte, Sie sind nicht nur Wirtschaftswissenschaftler, sondern auch Investor. Für Anleger ist das aktuelle Umfeld höchst tückisch: Minirenditen bei Zinsanlagen, dafür aber Inflationsgefahren. Nervöse Börsen mit dem Risiko jederzeitiger Rückschläge, eine angeschlagene Währung. Viele fragen sich: Wohin mit meinem Geld, wenn praktisch überall Risiken lauern – selbst bei angeblich problemlosen Tagesgeldern oder Staatsanleihen?
Otte: Und damit haben sie Recht. Bei Geldvermögen, also Anleihen, Spareinlagen oder auch Lebensversicherungen, läuft eine stille Enteignung. Selbst zehnjährige Bundesanleihen werfen nach Abgeltungsteuer und Inflation keine reale Rendite mehr ab. Der Anleger hat aber ein immenses Kursrisiko, sollten die Zinsen einmal steigen. Dann hagelt es Verluste. „Risiko ohne Rendite“ heißt es derzeit am Markt über Bundesanleihen. Der Spruch stimmt.
FOCUS Online: Aber auch bei Aktien lauern Gefahren. Für ihre Warnung im Jahr 2006 vor einem Crash, der kurz hinterher auch prompt eintraf, nannten sie damals vor allem drei Gründe: ungleiche Vermögensverteilung, immer höhere Schulden und eine immer unsolidere Geldpolitik. Daran hat sich bis heute ja nichts geändert, außer dass die Schulden seitdem noch mal immens gewachsen sind. Kommt also ein neuer Crash?
Otte: Diese Entwicklung hat mich auch überrascht. Die Flutung der Märkte in der Finanzkrise mit Liquidität und die Konjunkturprogramme damals waren zwar kein ökonomisches Glanzstück, aber auch nicht verkehrt. Danach hat man aber komplett versäumt, die Märkte zu regulieren und die Schulden zurückzuführen. Es geht weiter wie bisher, sogar verstärkt weiter wie bisher. Selbst das Bankensystem läuft weiter wie ehedem. Die Strukturen, die uns in die Krise führten, sind nach wie vor vorhanden.
FOCUS Online: Also ist nach dem Crash doch wieder vor dem Crash?
Otte: Nein, das glaube ich diesmal nicht. Zwei Dinge haben sich gegenüber damals geändert, die mich zu der Behauptung ermutigen, dass sich an den Märkten eine Panik wie 2008 nicht wiederholen wird. Zum einen glauben die Staaten zu wissen, wie sie mit Bankenrettungen umgehen müssen: Es wird noch mehr Geld gedruckt. Das mag längerfristig die Inflation anheizen, zunächst hilft es aber mal den Märkten.
FOCUS Online: Und das Zweite?
Otte: Die Bürger merken, dass Geldvermögen – also Sparanlagen oder Anleihen – riskant ist. Gleichzeitig realisieren sie, dass es sich bei Aktien um Sachvermögen handelt. Die Aktien haben immerhin zwei Weltkriege überstanden und in Deutschland auch noch zwei Währungsreformen. Daimler oder Siemens konnten Sie vor Hundert Jahren schon kaufen, und sie gelten heute immer noch als Vermögen. Zudem glaube ich, dass die meisten Aktien wegen der jüngsten Entwicklungen in starke Hände übergegangen sind. Wenn es nicht noch einmal zu echten Verwerfungen kommt, würde es mich daher wundern, wenn es bei Aktien wieder zu einem solchen Ausverkauf käme wie Ende 2008.
FOCUS Online: Trotzdem bleiben bei diesem unsicheren Umfeld erhebliche Risiken?
Otte: Das kommt darauf an, wie Sie Risiken definieren. Ich zähle mich zu den Value-Investoren, also Käufern von Aktien, die als ertragsstark und unterbewertet gelten. Für uns heißt Risiko Gefahr eines dauerhaften Kapitalverlusts. Wir haben lange Anlagehorizonte und halten Volatilitäten aus. Wir wissen: Wenn wir die richtige Aktie kaufen, stehen wir irgendwann im Plus.
FOCUS Online: Manche Anleger verkraften aber größere Kursrückschläge nicht und verkaufen dann oft in Panik und zum falschen Zeitpunkt.
Otte: In der Tat ist es für viele Anleger schwer, Volatilitäten auszuhalten. Aber Kursschwankungen gehören nun einmal zur Börse. Davor kann man die Anleger nicht bewahren. Entscheidend ist der Unterschied zwischen immer wieder vorkommenden Schwankungen – mögen sie mitunter auch etwas heftiger ausfallen – und dem langfristigen Trend. Das muss man auseinanderhalten. Wenn Anleger erfahren sind und gute Nerven besitzen, würde ich weiter zu günstigen Aktien raten. Auch jetzt noch. Es gibt kaum eine bessere Alternative.
„RWE und E.on sind gerade schön billig“
FOCUS Online: Können Sie Papiere nennen, die Sie aktuell als günstig erachten?
Otte: RWE und E.on sind so schön runtergekommen. Vieles andere, also die ganz sicheren Werte, die Nestlés und die Fielmanns, sind noch nicht zu teuer. Wenn wir Fielmann sehen mit vier Prozent Dividendenrendite, das inflationsgesichert, weil die ihre Preise auch anheben, wenn die Geldentwertung zunimmt, ist das alles besser als Anleihen. Also: Wenn Sie Volatilitäten aushalten, würde ich für einen ganz signifikanten Aktienanteil in Ihrem Depot plädieren.
FOCUS Online: Und Gold? Sie hatten in Ihrem Depot lange einen fühlbaren Goldanteil.
Otte: Es kommt darauf an, was Ihr Ziel ist. Wenn Sie sagen, ich will zunächst mein Vermögen sichern und weniger auf Rendite schauen, dann bin ich weiter für Gold und andere Edelmetalle. Auch bei 1500 Dollar je Feinunze ist Gold noch nicht zu teuer.
FOCUS Online: George Soros hat sein Gold gerade verkauft . . .
Otte: . . . und Hedge-Fonds-Manager John Paulson hat gekauft. Wenn Soros Gold verkauft, heißt das ja nicht, dass der Preis fallen muss. Vielleicht braucht er Geld für etwas anderes.
FOCUS Online: Rohstoffe sind doch auch ein Thema?
Otte: Ich persönlich bin bei Rohstoffen schnell wieder bei Gold. Denn Gold ist ja auch ein Rohstoff. Es ist als Absicherung, als Krisenwährung wirklich interessant, vor allem, wenn das Weltwirtschaftssystem einmal wackelt.
FOCUS Online: Andere Rohstoffe sind aber auch Sachwerte . . .
Otte: . . . die Sie kaufen können, wenn Sie davon ausgehen, dass das Wachstum der Weltwirtschaft ungebrochen weitergeht. Sollten wir hier einen Rücksetzer bekommen, werden Anleger mit ihren Rohstoffaktien Geld verlieren. Man kann also Rohstoffe oder Rohstoffaktien kaufen, sie aber in keinem Fall übergewichten.
FOCUS Online: Sie managen auch den Mischfonds Fonds PI Global Value Fund. Er warf zuletzt seine Goldinvestments aus dem Portfolio.
Otte: Weil ich das Metall nicht mehr kaufen darf, seit der Fonds auch in Deutschland zugelassen ist. Hier gilt Gold als Rohstoff. Die werden als riskant eingestuft, sodass ich sie in physischer Form nicht mehr im Depot haben darf, auch nicht als Zertifikat mit Auslieferungsanspruch. Das Einzige, was ich machen könnte, wäre ein Goldzertifikat. Ich bin aber kein Freund von Derivaten. Dehalb bevorzuge ich Goldminenaktien wie Barrick Gold. Da schaue ich in der Tat hin.
FOCUS Online: Wie stellt sich der Fonds derzeit auf?
Otte: Ich habe etwas Cash aufgebaut, im Moment zwölf Prozent des Fondsvermögens. Sonst bin ich immer Vollgas gefahren und hatte nur etwas Gold drin, als ich noch durfte. Ich finde immer noch sehr viele billige Aktien, die ich jederzeit kaufen würde. Mein Bauchgefühl sagt mir aber: Halte mal ein bisschen Cash, es kommen vielleicht noch bessere Gelegenheiten in den nächsten Monaten.
FOCUS Online: Ihr Fonds hat bislang in diesem Jahr einen Durchhänger . . .
Otte: Er läuft seitwärts mit den Märkten. Das auch deshalb, weil ich schon vor Fukushima in Japan investiert hatte. Außerdem halte ich Aktien der Südländer.
FOCUS Online: Und an Japan halten Sie fest?
Otte: Japan ist extrem billig. Die Börse notiert unter Buchwert. Die Unternehmen fahren seit 20 Jahren Schulden runter und bauen Cash auf. Fast alle haben dicke Liquditätspolster. Nippon-Aktien sind wirklich billig.
FOCUS Online: Und Ihr Favorit in Japan?
Otte: Ich halte eine größere Position in Sony. Sie macht mir bislang noch keine Freude. Aber wenn man bedenkt, dass Sony derzeit an der Börse mit einem Viertel von Samsung bewertet wird, muss man sich überlegen, ob diese Relation noch stimmt und Sony nicht viel zu billig ist. Da bin ich übrigens in guter Gesellschaft. Auch Warren Buffett, an den ich mich mit meinem Stil ein bisschen anlehne, sagt, er würde sich recht wohl fühlen mit seinen Engagements in Japan.
FOCUS Online: Und im Süden? Kaufen Sie griechische Papiere?
Otte: Nein. Ich setze klar auf Italien. Die haben zwar hohe Schulden, aber die Anleihen werden von den eigenen Bürgern gehalten, und die sind nicht überschuldet. Es gibt keine Immobilienblase, und das Budgetdefizit ist auch nicht so hoch. Also, Italien steht nicht schlechter da als Deutschland. Das vergessen die Leute immer. Ich habe Italmobiliare. Das ist eine Beteiligungsgesellschaft, die mehr als 50 Prozent an Italcementi hält und auch ein paar Finanzbeteiligungen. Die Aktie kommt von 108 und notiert jetzt um 26 Euro – weit unter Buchwert. Da muss man ein bisschen Zeit und Nerven haben.
FOCUS Online: Ihr einziger Favorit in den Südländern?
Otte: Nein. Nicht schlecht finde ich auch Benetton: KGV elf und über vier Prozent Dividendenrendite. Aber das sind alles Spezialtitel, ebenso wie Renault. Die Franzosen haben einen Börsenwert von elf Milliarden Euro und besitzen fast ebenso viel Cash aus dem Volvo-Verkauf. Dann haben sie noch die Anteile an Nissan.
FOCUS Online: Facebook wäre dann kein Fall für Sie? Das Netzwerk soll inzwischen 100 Milliarden Dollar wert sein.
Otte: Facebook ist viel heiße Luft und Fantasie – abgesehen davon, dass diese Datensammelmaschine, der die Leute auch noch freiwillig ihre Daten preisgeben, eine sehr unheilvolle Rolle spielen kann. Es ist ein Konzept, das funktioniert, aber kein Unternehmen, das funktioniert. Und da es so viel heißes Geld auf dieser Welt gibt, wegen der Schuldenpolitik und den günstigen Finanzierungsmöglichkeiten, werden eben auch für diese Zukunftskonzepte irrsinnige Summen geboten. Bei so etwas würde ich selbst nie mitspielen. Das ist ein Fall für Spekulanten.
FOCUS Online: Apropos Spekulanten: Muss man nicht auch Angela Merkel dazuzählen? Sie wettet mit vielen Milliarden Euro Steuergeldern auf eine Gesundung Griechenlands. Behält sie Recht, verdient sie fünf Prozent Zinsen. Verliert sie, kostet das die Bundesbürger Milliarden. Kein sehr gutes Chance-Risiko-Verhältnis?
Otte: Spekulation würde ein souveränes Denken, Entscheiden und Handeln voraussetzen. Diese Freiheit hat Frau Merkel nicht. Sie muss vielmehr das machen, was sie aus den momentanen Opportunitäten für notwendig erachtet. Sie kann nicht souverän handeln. Sie ist eine Getriebene.