Die Babyboomer müssen mit stark sinkenden Renten rechnen

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lodo
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Die Babyboomer müssen mit stark sinkenden Renten rechnen

Beitrag von lodo »

Wirtschaft
Tages-Anzeiger vom 20.06.2005
«Das Rentenalter auf 73 Jahre anheben»

Die Babyboomer müssen mit stark sinkenden Renten rechnen. Nur Asien kann einen Kollaps der Aktienmärkte im Westen verhindern, sagt ein führender Finanzexperte der USA.

Mit Jeremy Siegel sprach Walter Niederberger, Philadelphia
In zwei, drei Jahren gehen die ersten Babyboomer in Pension. Allein in den USA erwarten über 80 Millionen Leute, komfortabel von ihren Pensionen und privaten Rücklagen in Aktien und Obligationen leben zu können. Sie haben nachgerechnet und kommen zu einem anderem Resultat.


Die Babyboomer machen sich falsche Hoffnungen. Sie werden bald schmerzhaft herausfinden, dass es zu wenig Käufer gibt, die ihnen die Wertschriften zu dem Preis abnehmen, den sie sich vorstellen. Sie sind die erste Generation, in der es mehr Verkäufer als Käufer für Aktien und Obligationen gibt. Zweitens werden die Babyboomer herausfinden, dass sie nicht so komfortabel leben können wie erhofft. Sie stehen vor der unerfreulichen Wahl, entweder länger zu arbeiten oder den Lebensstandard im Ruhestand zu senken.

Sprechen Sie nicht von einem sehr amerikanischen Problem? Die Japaner etwa oder die Schweizer haben deutlich mehr gespart als die Amerikaner und oft konservativer angelegt. Sind sie nicht weniger stark von sinkenden Preisen betroffen?

Nein, und das überrascht viele Leute. Sparen löst das Problem nicht. Glauben Sie mir, diese Aussage hat mir schon viel Kritik von den Banken eingetragen. Angespartes Geld muss in produktive und innovative Anlagen und Unternehmen investiert werden, sonst wird es nicht mehr genug Rendite abwerfen. Zahlreiche Studien zeigen, dass Innovationen und Entdeckungen weit mehr zu einer wachsenden Wirtschaft beitragen als das Sparkapital. Nehmen Sie Japan. Eine sehr konservative Gesellschaft, die lieber Geld auf die Seite legt als zu investieren. Die Folge: Japan stagniert.

Kritiker wenden ein, dass das Kernproblem nicht die reichen Leute sind, die ihre Aktien nicht mehr loswerden, sondern der Mittelstand und Haushalte mit geringem Einkommen. Ein Prozent der Amerikaner besitzt 53 Prozent der Aktien, und zehn Prozent kontrollieren 88 Prozent der Aktien.

Das stimmt schon. Wenn aber die Reichen schon Probleme haben, dann gibt es für die unteren Einkommen noch weniger Hoffnung. Meine Eltern etwa waren nicht besonders vermögend. Aber die Aktien halfen ihnen, im Ruhestand relativ gut zu leben. Darauf kann der Mittelstand nicht mehr zählen.

Nun erwägen viele Regierungen, das Rentenalter auf 67 Jahre oder mehr anzuheben. Wie stark werden dadurch die sinkenden Renten ausgeglichen?

Nur zu einem sehr kleinen Teil. In den USA steigt das Rentenalter bereits jetzt langsam auf 67 an. Ohne dass sich aber etwas Fundamentales in der Weltwirtschaft ändert, wird das Rentenalter auf 73 Jahre angehoben werden müssen. Und dies innerhalb von nur 35 bis 40 Jahren. Dieser Anstieg übertrifft sogar die erwartete Zunahme der Lebenserwartung. Damit könnten Babyboomer noch mit etwa neun Jahren aktiver Rentnerzeit rechnen, ein Drittel kürzer als heute.

Sie haben von fundamentalen Veränderungen in der Weltwirtschaft gesprochen, die diesen Trend stoppen könnten. Woran denken Sie?

Meiner Ansicht nach bietet die Globalisierung die einzige Chance für die westliche Welt. Grundlegend dafür ist die Einsicht, dass 80 Prozent der künftigen Generationen junge Menschen in Entwicklungsländern sind. Ohne sie und ihren Willen, unsere Wertschriften abzukaufen, werden unsere Aktienmärkte genau gleich abstürzen wie in Japan. Rentner können ja nicht Fabriken essen, sondern müssen die Anteile an diesen Unternehmen abstossen. Leute nehmen an, es gebe so etwas wie einen innern, beständigen Wert einer Aktie. Das ist falsch. Sie sind nur so viel wert, wie jemand dafür bezahlen will.

Was sagt Ihnen, dass junge Chinesen Aktien von amerikanischen oder europäischen Firmen kaufen können oder wollen? China steht doch praktisch vor dem gleichen Alterungsproblem wie der Westen.

China muss die Ein-Kind-Politik ändern, das ist klar. Auch kommt die Pensionierung in den Staatsbetrieben mit 55 nicht mehr in Frage. Und trotzdem besitzt China eine starke Reserve. 300 Millionen Menschen arbeiten noch in staatseigenen Unternehmen mit sehr tiefer Produktivität. Die meisten sind 20 bis 30 Jahre alt. Die Privatwirtschaft wird dieses produktive Reservoir in den nächsten 20 Jahren anzapfen.

Was die Frage nicht beantwortet. Warum sollen Chinesen nicht in eigene Firmen investieren und stattdessen ausländische Aktien kaufen?

Die grosse Ironie besteht darin, dass die chinesische Wirtschaft in den letzten zehn Jahren zwar enorm schnell wuchs, aber die Aktien unerhört schwach abschnitten. Ich nenne diesen Effekt die Wachstumsfalle. Was meine ich? Chinesen durften nicht im Ausland investieren. Sie waren so begeistert von ihrer schnell wachsenden Wirtschaft, dass sie die Aktienpreise viel zu weit nach oben trieben. Etwas Vergleichbares haben wir mit den Technologieaktien erlebt. Obwohl Tech-Firmen die am schnellsten wachsenden Unternehmen sind, ist ihre Rendite in den letzten 20 Jahren ziemlich mager. Wenn Chinesen in Zukunft ein Unternehmen mit einem vernünftigen Preis und einer guten Marke im Ausland sehen, werden sie kaufen.

Was bedeutet, dass westliche Unternehmen immer mehr neue Besitzer bekommen?

Und das ist genau, was wir und die Rentner im Westen brauchen. Der Gedanke ist für viele beängstigend. Die Eigentümer der meisten grossen Multis werden in Zukunft Menschen aus Indien, China, Südkorea oder Indonesien sein, nicht mehr Europäer oder Amerikaner. Der Westen braucht die Energie der jungen Leute in China oder Indien. Heute sind 90 Prozent der Nobelpreisträger Amerikaner und Europäer. In 50 Jahren werden es 90 Prozent Inder, Chinesen und Koreaner sein.

Wann wird dieser Besitzerwechsel stattfinden?

Er findet schon statt. Denken Sie an die Computerabteilung von IBM, die an die chinesische Lenovo gegangen ist. Oder die indische Mittal, die grosse Teile der amerikanischen Stahlindustrie gekauft hat. Ich rechne damit, dass 2050 mehr als die Hälfte des Weltkapitals in den Händen der Schwellen- und Entwicklungsländer sein wird. China und Indien werden weit grösser sein als die kombinierten Wirtschaften der USA, Europas und Japans.

Was passiert, wenn aus politischen Gründen die Investitionen in westliche Unternehmen gebremst oder gar untersagt werden?

Das würde in den USA und in Europa zu einer sehr langen Phase mit sehr geringer Rendite führen. Viele Rentner glauben heute, dass eine Million Dollar genug ist, um sehr komfortabel zu leben. Sie werden dann herausfinden, dass ihr Kapital plötzlich nur noch eine halbe Million wert ist.

Historisch gesehen, haben die westlichen Länder ihre Alterungsprobleme mit einer stärkeren Einwanderung überbrückt. Stünden die USA ohne die zu Tiefstlöhnen arbeitenden Einwanderer aus Lateinamerika finanziell nicht genauso mager da wie Europa?

Richtig. Aber es bedürfte schon einer gewaltige Immigration, um das aktuelle Rentenalter zu halten. In den USA benötigten wir in den nächsten 40 Jahren über 400 Millionen Einwanderer, dies bei derzeit 300 Millionen Einwohnern. Politisch ist das nicht machbar. Ein Immigrant verdient zudem so viel weniger als ein Amerikaner, dass es zwei bis drei neue Einwanderer brauchte, um einen Pensionierten zu finanzieren. Im 19. Jahrhundert bauten Europa und die USA die ersten Industrien. Sie hatten das Kapital und zogen die Einwanderer an. Das hat sich total verändert. Kapital ist überall. Heute baut China die Fabriken und exportiert in den Westen. Einwanderung in die USA ist immer weniger nötig.

Sind Sie nicht gar optimistisch, wenn Sie glauben, dass die Menschen in Zukunft global denken und handeln und nationale Interessen zurückstellen?

Den Skeptikern sage ich nur: Schaut euch die Schweiz an. Kein sehr grosser Einfluss auf die Welt, aber die Schweizer leben ja recht komfortabel, oder? Es ist mir schon bekannt, dass der Finanzplatz einen grossen Anteil daran hat. Aber daneben gibt es Klassefirmen wie Nestlé oder die Pharmaunternehmen. Sie agieren seit langem auf der Weltbühne und erst noch erfolgreich. Spielt es eine Rolle, wer das Unternehmenskapital besitzt? Nein, das Management kann noch immer weit gehend schweizerisch sein.


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