"Clash der Kulturen"

Alles was "Off-Topic" ist oder die Märkte ganz allgemein betrifft. Hier findet Ihr Gelegenheit, euch in Form von Grundsatzdiskussionen, Glückwünschen, Streitereien oder Flirts auszutauschen.

Moderator: oegeat

Antworten
lodo
Trader-insider
Beiträge: 126
Registriert: 05.09.2005 13:28
Wohnort: Berlin

"Clash der Kulturen"

Beitrag von lodo »

ÖKONOMIE

"Clash der Kulturen"

Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser über das Ende der Deutschland AG und den Kampf zwischen dem rheinischen und dem amerikanischen Kapitalismusmodell

ZUR PERSON
Werner Abelshauser erforscht die Geschichte der deutschen Wirtschaft - und zieht daraus Schlüsse auf deren Zukunftsfähigkeit. In seinem Buch "Kulturkampf" beschäftigte er sich mit der Frage, ob das deutsche Wirtschaftsmodell in Zeiten der Globalisierung überleben kann - oder ob sich die Spielregeln des angelsächsischen Kapitalismus durchsetzen werden. Abelshauser, 61, lehrt an der Universität Bielefeld.
----------------------------



SPIEGEL: Herr Abelshauser, die Deutschland AG mit ihren gegenseitigen Unternehmensverflechtungen hat sich weitgehend aufgelöst. Hiesige Unternehmen fühlen sich dem globalen Kapitalmarkt hilflos ausgeliefert. Hat der Shareholder-Kapitalismus amerikanischer Prägung gesiegt?

Abelshauser: Ich glaube nicht. Ihre Schilderung ist zu pessimistisch. Sie entspricht nicht den Fakten.

SPIEGEL: Wie bitte? Die Banken, der Kern der alten Deutschland AG, haben doch fast all ihre Unternehmensbeteiligungen verkauft.

Abelshauser: Die Banken hielten selbst zur Hoch-Zeit der Deutschland AG nur 13 Prozent des Kapitals der börsennotierten Unternehmen, und die wiederum machen nicht den Kern der deutschen Wirtschaft aus. Das sind die kleinen und mittleren Unternehmen. Was Sie skizziert haben, betrifft nur einige wenige große Unternehmen, allerdings sehr wichtige. Das gebe ich zu.

SPIEGEL: Dann sind die Befürchtungen der Unternehmen also unbegründet?

Abelshauser: Moment! Es gibt neben dem Rückzug der Banken ein anderes Phänomen, das viel wichtiger ist: Die Aktionäre reagieren kurzfristiger. Früher vertrauten sie darauf, dass die Manager schon wissen, was gut ist fürs Unternehmen - und damit à la longue auch für ihren eigenen Profit. Der Kulturkampf spielt sich weniger zwischen Ausländern und Inländern ab, sondern zwischen unterschiedlichen Denkweisen und Spielregeln, die sich Geltung verschaffen.

SPIEGEL: Ist das Wort vom Kulturkampf nicht etwas hoch gegriffen?

Abelshauser: Nein, immerhin geht es um die Machtfrage, ob wir in Europa zu unseren Bedingungen leben und arbeiten können - oder ob wir uns amerikanischen Regeln unterwerfen müssen. Dort dominiert der Kapitalmarkt, der auf Kurzfristigkeit und Shareholder-Value ausgelegt ist und unserer Produktionsweise nicht angemessen ist. Da kommt es wirklich zum Clash der Kulturen.

SPIEGEL: Was ist denn das Besondere an der deutschen Produktionsweise?

Abelshauser: Die deutsche Wirtschaft hat sich auf diversifizierte Qualitätsproduktion spezialisiert ...

SPIEGEL: ... also auf technisch sehr anspruchsvolle Güter, die sehr spezifisch auf die Anforderungen der Kunden ausgerichtet sind.

Abelshauser: Genau. Man könnte es auch nachindustrielle Maßschneiderei nennen. Zum Beispiel sehr anspruchsvolle Maschinen und Anlagen. Die Kunden bestellen eine ganz bestimmte Maschine oder eine bestimmte Fabrikanlage mit sehr spezifischen Eigenschaften. Es geht aber auch um hochwertige Fahrzeuge, um Chemie, um Elektrotechnik, alles Produkte, deren Herstellung auf wissenschaftlicher Basis beruht.

SPIEGEL: Und dafür sind die amerikanischen Spielregeln nicht geeignet?

Abelshauser: Sie sind zu kurzatmig und deshalb ungeeignet für eine Wirtschaft, die auf Langfristigkeit setzt, auf Qualität und Kooperation von industriellen Clustern, also von Gruppen von Unternehmen, die aufeinander angewiesen sind. Wenn wir uns am amerikanischen Modell orientieren, müssten wir uns auf ganz andere Märkte konzentrieren, wo dieses Modell sehr erfolgreich ist, zum Beispiel bei standardisierten Massenprodukten.

SPIEGEL: Immerhin ist auch die amerikanische Hightech-Industrie sehr erfolgreich.

Abelshauser: Wenn Sie sich die Patentbilanz ansehen, stellen Sie fest: Die Deutschen halten vor allem Patente im Hochtechnologiebereich, aber weniger im Sektor absoluter Spitzentechnologie. Da sind die Deutschen im Vergleich zu den USA tatsächlich relativ schwach. Das heißt, die Methoden, die die Amerikaner anwenden, sind hervorragend - für diese Märkte.

SPIEGEL: Ist nicht gerade dieser Spitzentechnologiebereich sehr langfristig orientiert?

Abelshauser: Im Bereich der sehr forschungsintensiven Spitzentechnologie muss man bereit sein, beim Kapitaleinsatz ein hohes Risiko zu tragen um schnell rein-, aber auch schnell wieder rauszugehen. Dafür eignet sich das amerikanische Modell besser.

SPIEGEL: Etwas mehr Flexibilität würde auch der deutschen Wirtschaft gut tun. Seit Jahrzehnten hängt ihr Wohl und Wehe an denselben Branchen, etwa am Fahrzeugbau, während sich Amerika dem Strukturwandel sehr viel schneller und dynamischer angepasst hat.

Abelshauser: Das Geld wird zunächst da verdient, wo man besser als andere ist. Man muss sich auf die Methoden und Märkte konzentrieren, die man beherrscht. Erst dann kann man neue Märkte erobern. Die Deutschen sind da durchaus erfolgreich. Sie haben in den vergangenen Jahren auch bei den Patenten für Spitzentechnologie aufgeholt.

SPIEGEL: Ist es nicht eher so, dass die Basis der deutschen Wirtschaft immer schmaler wird? Im Pharmabereich, wo sie einst führend war, ist sie fast nicht mehr vertreten. Die Banken, die einst die Weltliga anführten, spielen international fast keine Rolle mehr. Auf der anderen Seite ist außer SAP kein großes Unternehmen mehr von Weltrang nachgewachsen.

Abelshauser: Die deutsche Organisation der Wirtschaft ist eben vor allem für Verfahrensinnovationen von Vorteil: also vor allem im Fahrzeugbau, Maschinenbau, in Chemie und Elektrotechnik. In anderen hat sie diese Vorteile nicht. Man kann nicht beides gleichzeitig haben. Die Amerikaner sind dafür in den Bereichen schwach, in denen wir stark sind.

SPIEGEL: Gibt es keinen Mittelweg aus beiden Modellen?

Abelshauser: Nein, das ist kein Modellbaukasten. Wir müssen das machen, was wir können. Wir haben eben eine andere Wirtschaftsgeschichte als die Amerikaner und Engländer.

SPIEGEL: Nun spricht der Historiker. Warum hat sich das deutsche Modell so entwickelt, wie es ist?

Abelshauser: Das deutsche Modell der korporativen Marktwirtschaft ist auf autonome und kooperative Akteure angewiesen. Die Spielregeln werden von Unternehmen und Verbänden gesetzt. Der Staat moderiert aktiv - ganz anders als in den angelsächsischen Ländern. In Kontinentaleuropa war es der Staat, der dem Wirtschaftsbürgertum seit dem 17. Jahrhundert die Eigentumsrechte gesichert hat. Er hat einen funktionierenden Beamtenapparat und Rechtssicherheit geschaffen. Zur selben Zeit tobten in England Bürgerkriege zwischen der Krone auf der einen und dem aufkommenden Bürgertum auf der anderen Seite. Dort hat sich das Wirtschaftsbürgertum seine Rechte erkämpft ...

SPIEGEL: ... weshalb das angelsächsische System ungeregelter und marktorientierter ist?

Abelshauser: Ja, deshalb hat sich in den USA im 19. Jahrhundert auch eine ganz andere Haltung zu Kartellen entwickelt. Bei uns galten sie als sittlich wertvoll, in den USA als kriminell. Werte wie Autonomie, Selbstverwaltung und Zusammenarbeit sind bei uns positiv besetzt.

SPIEGEL: Wie erklären Sie, dass sich die deutsche und die amerikanische Autoindustrie so gegensätzlich entwickelt haben?

Abelshauser: Deutschland hatte bis zum Zweiten Weltkrieg kaum standardisierte Massenproduktion ...

SPIEGEL: ... also die alte Fließbandfertigung, wie sie Henry Ford 1913 erstmals einführte.

Abelshauser: Erst dann wurde der "Fordismus" in der Waffenproduktion eingeführt und nach dem Krieg auch in anderen Branchen. In den siebziger Jahren ist die standardisierte Massenproduktion weltweit zusammengebrochen. Die Deutschen haben sich auf ihr erstes Standbein, ihre Fähigkeit zur diversifizierten Qualitätsproduktion, besonnen und sich in den Hochpreissektor geflüchtet. Die Amerikaner stehen bis heute auf dem Schlauch. Nach dem Verlust dieses zweiten Standbeins sind wir nun auf Gedeih und Verderb auf die Qualitätsproduktion angewiesen. Und bis zum heutigen Tag eher auf Gedeih.

SPIEGEL: Warum ist die Arbeitslosigkeit dann in Deutschland viel höher als in den USA?

Abelshauser: In Deutschland waren unqualifizierte Arbeitskräfte lange Mangelware. Seit 1938 ist es ja sogar die Regel, dass jedes Mädchen und jeder Junge mit 14 eine Lehre macht und zum Facharbeiter ausgebildet wird. Für den wachsenden Sektor des "Fordismus" brauchte man aber unqualifizierte Arbeiter. Dies hatte paradoxe Folgen. Normalerweise versuchen Einwanderungsländer ja, qualifizierte Arbeitskräfte ins Land zu holen, in Deutschland war es umgekehrt. Als Mitte der siebziger Jahre dieser Markt zusammenbrach, hatte man einen hohen Anteil unqualifizierter Arbeitskräfte, aber keine entsprechenden Jobs mehr. Das ist seitdem eine der Hauptquellen der Arbeitslosigkeit in Deutschland.

SPIEGEL: Ist die Arbeit in Deutschland nicht schlicht zu teuer?

Abelshauser: Das kann ich für die qualifizierten Arbeitnehmer nicht sehen. Ich habe eher das Gefühl, dass die Unternehmen im Moment die Situation für sich nutzen und die Löhne dort weit über das Erforderliche hinaus nach unten drücken.

SPIEGEL: All die betrieblichen Bündnisse, die im Moment geschlossen werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhöhen ...

Abelshauser: ... sind nicht immer im Interesse der Unternehmen, weil sie die Qualitätsbasis zerstören. Die Arbeit ist bei uns nur im unteren Drittel der unqualifizierten Arbeitskräfte zu teuer. Die können mit Arbeitskräften in Billiglohnländern nicht konkurrieren.

SPIEGEL: Haben Sie Verständnis dafür, dass Unternehmen wie Continental Arbeitsplätze ins billigere Ausland verlagern?

Abelshauser: Natürlich, das ist sinnvoll - aber nur unterhalb der Facharbeiter-ebene.

Allerdings bilden wir nicht immer die richtigen Facharbeiter aus. Wir haben ein großes Bildungs- und Ausbildungsproblem. Seit Ende der neunziger Jahre werden nicht mehr genügend Fachkräfte mit ausreichender Qualität ausgebildet.

SPIEGEL: Also mangelt es im Modell Deutschland vor allem an Bildung?

Abelshauser: Ja, Bildung ist der Schlüssel. Da ist in den vergangenen Jahren viel versäumt worden.

SPIEGEL: Woran krankt das System noch?

Abelshauser: Ein solches System, das auf Autonomie und Kooperation beruht, kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten die Spielregeln einhalten. Das scheint mir in Deutschland seit einiger Zeit nicht mehr gegeben. Wenn zum Beispiel die Autohersteller ihre Zulieferer immer mehr drücken, kann das auf Dauer nicht gut gehen. Cluster von Unternehmen funktionieren nur, wenn sich die Beteiligten auch vertrauen, wenn sie sich sicher sein können, dass sie von den Mächtigeren nicht erpresst werden und dass sich ihre Investitionen auch rechnen.

SPIEGEL: Warum werden die Spielregeln nicht eingehalten?

Abelshauser: Offenbar fehlt es vielen Managern an Einsicht in die Funktionsweise des Systems. Man könnte auch gehässig sein und sagen, weil sie davon profitieren.

SPIEGEL: Sie meinen, weil die Sparpolitik den Aktienkurs treibt und am Ende auch die Gehälter der Manager?

Abelshauser: So funktioniert das amerikanische System. Aber so funktioniert eben die deutsche Wirtschaft nicht. Zum Glück hat sich hier in den vergangenen Jahren eine spezifische Art von Shareholder-Value durchgesetzt, eine den deutschen Verhältnissen angepasste: Die Steigerung des Unternehmenswertes wird ausgehandelt zwischen dem Top-Management, den Großaktionären, wenn es welche gibt, und Belegschaftsvertretern. In einer Wirtschaft, die auf das Wissen der Mitarbeiter angewiesen ist, kann man nicht gegen die Mitarbeiter agieren.

SPIEGEL: Ist das ein Plädoyer für die Mitbestimmung?

Abelshauser: Grundsätzlich ja, sie muss ja nicht unbedingt so bleiben, wie sie heute ist. Sie könnte dafür sorgen, dass selbst für die hiesige Wirtschaft so gefährliche Strategien wie Shareholder-Value an deutsche Verhältnisse angepasst werden und so ihren Stachel verlieren.

SPIEGEL: Werden sich die großen Konzerne in Zukunft überhaupt noch als deutsche Konzerne verstehen? Sie werden überwiegend ausländische Aktionäre haben und ihr Geld vorwiegend jenseits der Grenzen verdienen.

Abelshauser: Die Nationalität der Unternehmen spielt keine Rolle. Entscheidend sind die komparativen institutionellen Kostenvorteile, die ein Unternehmen hier im Land hat, weil bestimmte organisatorische Stärken hier historisch gewachsen sind und weil die Menschen sich hier so verhalten, wie es für eine bestimmte Produktionsweise notwendig ist. Man kann als deutsches Unternehmen auch die Vorteile der amerikanischen Produktionsweise nutzen, indem man dort eine Firma gründet.

SPIEGEL: Müssen Sie sich künftig nicht noch mit einem dritten Modell beschäftigen, dem chinesischen, das derzeit Deutsche wie Amerikaner das Fürchten lehrt?

Abelshauser: Als Historiker muss ich darauf hinweisen, dass wir diese Diskussion schon einmal hatten, nämlich in den Jahren nach 1891. Damals wurde in Deutschland diskutiert, ob der Technologieexport der Totengräber der Nation sei, weil Länder wie China uns kopieren und abhängig machen. Diejenigen, die das befürchten, machen in der Regel einen Denkfehler: Sie sehen die Entwicklung in China außerordentlich dynamisch und schreiben sie in die Zukunft fort, während sie die eigene Entwicklung statisch betrachten. Aber natürlich sind wir als Exportweltmeister gewaltig unter Druck. Wir sind Getriebene, das heißt, wir müssen unsere Organisation der Wirtschaft immer weiter verbessern, ohne sie allerdings aufzugeben.

SPIEGEL: Als Historiker ist Ihnen demnach vor der Zukunft nicht bang?

Abelshauser: Historiker können noch am ehesten Prognosen wagen. Dabei hilft uns die reiche Erfahrung der Vergangenheit. Deshalb glaube ich, dass die deutsche Wirtschaft nicht schlecht aufgestellt ist. Ich kann jedenfalls nachts gut schlafen, wenn ich an China denke.

SPIEGEL: Herr Abelshauser, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Antworten